Die wilde Jagd - Roman
der Lage, mir selbst welchen zu kochen«, sagte sie, nahm aber den Becher aus Neves Hand entgegen. »Danke.«
»Gern geschehen.« Die ältere Frau drehte sich um und machte sich an dem Kessel zu schaffen, der auf einem Dreifuß über dem Feuer stand.
Teia beobachtete sie. Duftender Dampf wand sich um ihr Gesicht, als sie einen Schluck Tee nahm. Bei ihrem Erwachen hatte das Feuer bereits gebrannt, und der Kessel hatte daraufgestanden. Nun vermutete sie, dass das Neves Werk war.
»Aufstehen, Gerna! Vertrödele nicht den Tag!«
Teia hob den Blick, als sie die vertraute Stimme hörte. Baer schritt durch das Lager. Sein langer Zopf schwang hin und her, während er seine kleine Gruppe von Ausgestoßenen herumbeorderte. Er schien so sehr ans Kommandieren gewöhnt zu sein, dass er einmal ein Kriegshauptmann gewesen sein musste. Er erinnerte sie ein wenig an ihren Vater.
»Baer!«, rief sie. Er änderte seinen Kurs und kam auf sie zu. »Trinkst du einen Tee mit mir?«
»Sehr gern, danke.« Er hockte sich vor das Feuer und rieb sich die Hände, während sie ihm einen Becher eingoss.
»Wie geht es den Verwundeten von gestern? Ich habe ein wenig Medizin, die ihnen helfen könnte.«
»Sie haben nur Kratzer und Prellungen. Es wird alles gut verheilen.« Er dankte ihr für den Tee und hielt den Becher an die Lippen.
»Wer waren diese Männer, die euch angegriffen haben? Andere Verlorene?«
»Ich vermute es.« Er nahm einen Schluck. »Sie haben uns einen ganzen Tag und eine Nacht nach Westen getrieben; vermutlich wollten sie uns bestehlen. Dann sind wir nach Süden gezogen und plötzlich auf deine Spuren gestoßen. Das war unser Glück, nicht wahr?«, fügte er hinzu und zeigte seine Zähne.
Teia goss sich aus der Teekanne nach und überlegte. Sie hatte ein verlässliches Pferd und ausreichende Vorräte, war so gut wie möglich auf alles vorbereitet, was ihr in den Bergen begegnen konnte, aber sie hatte eher mit vierbeinigen als mit zweibeinigen Raubtieren gerechnet.
»Glaubst du, sie werden zurückkommen?«
»Nicht, wenn sie bei Verstand sind«, sagte er und schmunzelte. »Insbesondere nicht, nachdem du ihnen eine solche Angst eingejagt hast! Ich habe ja gesagt, dass eine Sprecherin immer sehr nützlich ist.« Er kniff die Augen zusammen und sah sie über den Rand seines Bechers an. »Hast du Angst vor ihnen?«
»Ein wenig«, gab sie zu. »Gegen einen Einzelnen könnte ich mich wohl gut verteidigen, aber nicht gegen so viele.«
Er nippte an seinem Tee. »Hast du noch immer vor, das Gebirge zu durchqueren?«
Sie hatte keine andere Wahl. »Ich muss.«
»Dann begleiten wir dich einen oder zwei Tage, bis der Weg ungefährlich ist«, sagte er mit großer Bestimmtheit. »Diese Männer werden es sich zweimal überlegen, uns alle anzugreifen, wo wir ihnen doch gezeigt haben, wozu wir in der Lage sind.«
Teia sah ihn an und war sowohl von seiner Großzügigkeit verblüfft als auch von seinem endgültigen Tonfall. »Ich will deine Leute nicht von ihrem Weg abbringen. Ich komme schon zurecht.«
»Und wer wird uns dann beschützen?« Er lachte, wurde aber rasch wieder ernst. »Nein, es ist das Sicherste, wenn wir zusammen reisen. Ich muss aber gestehen, dass ich diesen Pfad nicht kenne. Kannst du weissagen, was vor uns liegt?«
Teia biss sich auf die Lippe und warf einen raschen Blick hinüber zu Neve, doch die ältere Frau hatte ihr den Rücken zugewandt und rührte etwas in einem Topf über dem Feuer.
»Ich weiß nicht recht«, flüsterte sie. »Ich bin nicht voll ausgebildet …« Sie verstummte. Sie hatte selbst herausgefunden, wie sie Visionen hervorrufen konnte, und eine Weissagung des Wegs in die Berge konnte so anders nicht sein. Vielleicht war dies der richtige Zeitpunkt, um herauszufinden, wozu sie sonst noch in der Lage war.
Entschlossen nickte sie. »In Ordnung, ich werde es versuchen.«
Die Schüssel, in der sie ihre Vision von Drwyn gesehen hatte, stand noch in der Nähe. Teia zog sie heran und betrachtete eingehend den oberen Teil des Tales, um ihn sich gut einzuprägen. Dann griff sie mit ihrer Gabe in das Wasser hinein.
Es war nicht leicht, ein klares Bild zu erhalten. Wenn jemand im Lager einen Namen rief oder sie die Stimme erkannte, wandte sich ihre Aufmerksamkeit sofort jener Person zu, und daher schwankte das Bild im Wasser zuerst wild durch das kleine Lager. Als Teia tiefer in die summende Musik in ihrem Innern eintauchte und die Ohren vor dem Geplapper der anderen sowie vor Neves Kochen
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