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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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lag.
    »Seid ihr bereit?«, fragte Gair und stieg ab. Die Superiorin nickte. »Also los.«
    Shahe scheute, denn es gefiel ihr nicht, durch das niedrige Tor geführt zu werden, und die vielen Nonnen hinter ihr machten sie nervös. Am Ende musste Gair ihr einen Teil seines Barouk über die Augen werfen und sie in die Gasse hinauslocken. Die Nonnen folgten; ihre wenigen Habseligkeiten hatten sie in Jutesäcke gestopft. In ihren einfachen Wüstengewändern und mit den Sandschleiern vor den Gesichtern waren sie für einen flüchtigen Beobachter kaum als Frauen zu erkennen.
    »Wir müssen uns von den Hauptstraßen fernhalten«, sagte Gair und schlang sein eigenes Gewand wieder ganz um sich. »Wenn uns die Menge dort bemerkt, kann ich nicht mehr viel für euch tun.«
    Die Superiorin nickte. »Den größten Teil des Weges können wir durch Gassen und Seitenstraßen zurücklegen.«
    »Dann führt Ihr Eure Mitschwestern – Ihr kennt die Stadt besser als ich. Nehmt das Pferd.« Er hielt ihr Shahes Zügel entgegen.
    »Danke, mein Sohn, aber ich möchte dein Angebot ablehnen. Ich fürchte, du brauchst das Tier dringender als ich.« Sie deutete die Gasse entlang. »Geradeaus bis zur zweiten Kreuzung, dann nach rechts.«
    Das würde sie von der Route abbringen, die Gair und Alderan vom Löwentor aus genommen hatten, als sie in der Stadt eingetroffen waren, aber er vermutete, dass die Superiorin diesen Weg wählte, weil sie dort die beste Aussicht darauf hatten, unentdeckt zu bleiben. Gair saß wieder auf und führte die Frauen durch die Gasse. Die trockene Erde dämpfte Shahes Hufgetrappel. Dennoch versuchte Gair jedes Geräusch zu vermeiden, das die Aufmerksamkeit auf sie lenken könnte.
    Als sie aus dem Windschatten des Präzeptoriums traten, wurde der Lärm vom Tochterhaus her lauter, durchdrungen vom Hämmern von Stahl gegen Holz. Flammen schlugen empor; eines der Nebengebäude brannte inzwischen.
    Neben Shahe machte die Superiorin das Schutzzeichen über ihrer Brust. »Barbaren«, murmelte sie.
    »Was rufen sie da?«, fragte Gair.
    »Mit diesen Worten will ich meinen Mund nicht entweihen«, erwiderte sie angespannt. »Es sind alle Arten von Scheußlichkeiten.«
    Er wagte einen Blick in eine der abzweigenden Seitenstraßen. Einige in der Meute schienen Frauen zu sein. Eine warf den Kopf zurück und gab ein unheimliches Heulen von sich, das sofort von ein paar anderen Frauen aufgenommen wurde. Die Männer brüllten zustimmend, und Flammen stiegen in den Himmel.
    Wenn er nicht in den Süden gekommen wäre, dann wäre all dies nicht passiert.
    Gair zwang sich, wieder nach vorn zu schauen. Selbstvorwürfe würden nichts ändern. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich von seinen Schuldgefühlen anspornen zu lassen und in Bewegung zu bleiben. Er trieb Shahe voran und ließ das Tochterhaus hinter sich.
    Die Gassen von El Maqqam waren oft so schmal, dass die Nonnen nur zu zweit nebeneinander hindurchgehen konnten – und manchmal reichte der Platz kaum für Shahe, oder er wurde durch Wäscheleinen so sehr eingeschränkt, dass Gair immer wieder absteigen und sein Pferd durch Abfall und Gerümpel leiten musste, während sie von dürren Katzen mit leerem Blick angestarrt wurden, die vor den Hufen der Stute davonstoben. Der Geruch dessen, worüber er hinwegschritt oder worein er manchmal auch trat, erweckte in ihm nicht gerade den Wunsch, zu wissen, worum es sich dabei handelte.
    Jede Abzweigung brachte sie weiter von der Route weg, an die er sich vage erinnerte. Ohne eine klare Sicht auf einen der Monde zu dieser Nachtstunde hatte er bald die Orientierung verloren, aber die Superiorin zögerte nie und lenkte ihn mit Gesten oder einem leisen Wort. Ihr schien die Stadt in der Finsternis genauso vertraut zu sein wie im hellen Tageslicht. Sie war unermüdlich in ihrer Sorge um die ihr anvertraute ängstliche Herde und beruhigte alle mit einem Lächeln oder einer sanften Berührung. Nie zeigte sie ihre eigenen Sorgen; sie zuckte nicht einmal zusammen, als eine Ratte aus einem Haufen ununterscheidbaren Abfalls unter ihren Füßen hervorschoss.
    Kurz bevor sie schließlich zu einem offenen Platz kamen, blieb sie stehen und legte die Hand auf Shahes Flanke. Die Gebäude auf der anderen Seite hoben sich gegen den blasser werdenden Himmel ab, und Vögel zwitscherten in den Palmen, die den öffentlichen Brunnen in der Mitte des Platzes umrahmten. Es waren schon einige Menschen dort zu sehen: drei Frauen mit Wasserkrügen plauderten am Brunnen,

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