Die wilde Jagd - Roman
geschwächt zurück, als der Gesang wieder anschwoll. Ythas Worte waren über alldem noch immer zu hören. Sie beendete die Beschwörung mit fester und klarer Stimme. Dann breitete sie die Arme aus. In der einen Hand hielt sie die Schale mit dem Blut, in der anderen das Messer. Stille setzte ein.
Teia kämpfte sich auf die Knie und presste sich die Hand in die Seite. Die Stille war von der Art, wie sie nach einem ohrenbetäubenden Lärm einsetzte; sie war angespannt und hallte in den Ohren wider. Die Luft schien sich auszudehnen, und Teias Augen fühlten sich plötzlich zu groß für ihre Höhlen an.
Die Kreatur im Feuer tat einen Atemzug, dann noch einen; es war, als genieße sie die Luft. Wer bist du? , fragte sie rau.
Teia stöhnte auf und hielt sich die Ohren zu, aber es war zu spät. Die Stimme befand sich bereits in ihrem Kopf und kratzte wie mit blutigen Fingernägeln an der Innenseite ihres Schädels.
»Ich bin Ytha, Sprecherin der Crainnh, des Wolfclans aus dem Gebrochenen Land.« Ytha verneigte sich tief und hielt dabei die Arme ausgestreckt. »Ich entbiete dir unser Willkommen.«
Die Gestalt stemmte den Helm in die Hüfte und warf das Haar zurück. Nun war ihr Gesicht etwas schärfer umrissen, aber noch immer nicht genau zu erkennen. Augen, Mund und Zähne waren nur angedeutet. Teia hegte keinen Zweifel daran, dass das Maegern war. Sie wusste es, so wie sie um ihre eigene Existenz wusste. Entsetzen stieg in ihr auf und brannte sauer in ihrer Kehle.
Es ist lange her .
Maegern sah sich im Kreis der Sprecherinnen um und runzelte die Stirn. Sofort fielen die Frauen auf die Knie. Die Häuptlinge hinter ihnen knieten bereits, auch wenn Drwyn tapfer versuchte, den Blick der Göttin zu erwidern.
»Es ist zu lange her, Große, mehr als tausend Jahre, seit wir von dir getrennt wurden«, sagte Ytha.
Maegern machte eine wegwerfende Bewegung mit ihrer gepanzerten Hand. Ich weiß nicht, wie ihr das Vergehen der Zeit berechnet, und es ist mir auch gleichgültig. Für mich ist nur wichtig, dass ihr mich beschworen habt. Befreit mich, und ich werde euch belohnen .
»Bist du etwa nicht frei? Ich dachte, die Beschwörung …« Ythas Stimme versagte.
Das harsche Lachen der Göttin rollte wie Donner über den Horizont.
Glaubst du etwa, diese lächerliche Magie würde ausreichen? Noch nicht, kleine Frau! Noch nicht! Du hast nicht den Bruchteil eines Bruchteils der Macht jener, die mich weggesperrt haben, aber du hast dich trotzdem gut geschlagen. Wenn du es noch besser kannst, wirst du deine Belohnung erhalten .
»Was müssen wir tun? Wir möchten, dass du wieder unter uns einhergehst. Wir brauchen deine Hilfe.«
Wozu?
Ytha richtete den Oberkörper auf und hob den Kopf. Sie mochte zwar knien, aber sie würde nicht katzbuckeln, nicht einmal vor einer Göttin. »Wir wollen in unsere Heimat zurückkehren«, sagte sie. »Wir wollen sie von den Besatzern säubern, die sie uns gestohlen haben.«
Ich habe kein Interesse an eurem Gezanke um Land , höhnte Maegern. Wenn ihr euch das, was ihr haben wollt, nicht mit Waffengewalt nehmen könnt, seid ihr meiner Hilfe nicht wert . Sie wollte sich abwenden.
»Bitte, Große, verlass uns nicht auf dieselbe Art, wie die Ungläubigen dich verlassen haben!« Leidenschaftlich breitete Ytha die Arme noch weiter aus, und tiefe Gefühle schwangen in ihrer Stimme mit. »Sie haben dem Alten Weg den Rücken gekehrt. Sie haben ihre Freiheit aufgegeben und sich unter dasselbe Joch begeben, unter dem du stehst.« Mit einem Knurren wandte sich die Göttin ihr wieder zu. »Die Vorzeichen für deine Rückkehr zu uns sind günstig. Wenn du mit uns reitest, können wir unser angestammtes Land zurückerobern. Reite mit uns, und du wirst deine Rache haben.«
Stille breitete sich in dem Kreis aus, als die Göttin nachdachte. Es war die Stille zwischen Tun und Nichttun; die Entscheidung stand auf des Messers Schneide, und sowohl das eine als auch das andere konnte Wirklichkeit werden.
Maegern hielt den Kopf leicht geneigt. Sie änderte ihre Haltung, balancierte ihr Gewicht neu aus, wie eine sich ringelnde Schlange, die bereit ist zuzustoßen. Rache , zischte sie.
»Ja, Große.« Ythas Stimme war leise und klang hungrig. Eine der Sprecherinnen hinter ihr stieß ein leises Stöhnen aus, das sie sofort wieder unterdrückte.
Lange habe ich gewartet . Die Göttin schloss die Finger um den Schaft ihres Speers. Es war eine sanfte, beinahe zärtliche Berührung, als ob sie die Hand ihres Geliebten
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