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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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vierte Morgen der Zusammenkunft dämmerte, war Drwyn so aufgeregt, dass er nicht einmal bemerkt hätte, wenn Teia ihm auf die Stiefel gespuckt hätte. An diesem Tag würde die Versammlung enden, und die Clans würden um Maegerns Segen bitten. Darauf hatte Drwyn seine ganze Aufmerksamkeit mit einer Eindringlichkeit gerichtet, die Teia nie zuvor bei ihm beobachtet hatte.
    Teia sah ihm zu, wie er im Zelt hin und her lief, während sie an einer trockenen Brotkruste herumkaute. Sie hatte herausgefunden, dass das die einzige Nahrung war, die sie morgens zu sich nehmen konnte. Er trug wieder seine beste Kleidung, war gekämmt und eingeölt, und der goldene Halsring des Häuptlings glänzte auf seiner Haut. Er spielte unablässig daran herum und betastete die dicken Enden, die Wolfsköpfe darstellten. Ihre Smaragdaugen funkelten einander über die Kehle hinweg bösartig an.
    Sie mochte diesen Halsring nicht. Die Wolfsgesichter waren für ihren Geschmack viel zu lebensecht. Sie starrten mit gebleckten Fängen, und die Juwelen in ihren Augen fingen manchmal ein Licht ein, das gar nicht da war. Teia konnte sich nicht erinnern, dass dieser Ring je so bedrohlich ausgesehen hatte. Sie konnte sich auch nicht daran erinnern, dass er bereits zu Drws Lebzeiten, bevor Ytha ihn über das gebeugte Haupt seines Sohnes gehalten hatte, mit Juwelen besetzt gewesen wäre.
    Drwyn berührte ein letztes Mal das schwere Gold und seufzte. Sein Blick schweifte durch das Zelt und ruhte schließlich auf Teia. Sie knabberte noch immer an ihrer Brotkruste und schaute auf.
    »Du siehst blass aus«, sagte er unvermittelt. »Bist du krank?«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf ein wenig und tastete nach Krümeln auf ihrer Lippe. »Ich bin bloß müde.«
    »Ich werde Ytha sagen, dass sie dir einen Trank gibt, damit du besser schläfst.«
    »Es geht mir gut.«
    Sein Blick war beunruhigend. Es lag etwas darin, ein Hunger, eine Hitze, die Teia die Kehle zuschnürte und den Mund trocken werden ließ. Sie konnte kaum mehr ihr Brot schlucken. Den Rest der Kruste legte sie auf ihren Teller, stellte diesen beiseite und erhob sich vorsichtig. Drwyns Blicke folgten ihr, als sie zum Zelteingang schritt. Sie schob sich durch die Klappe, bemerkte, dass Ytha draußen stand, und quiekte vor Überraschung auf.
    Die Sprecherin hob eine Braue und machte ein ausdrucksloses Gesicht. Sie war bleich vom dreitägigen Fasten, hielt sich aber so aufrecht wie immer und trug ihren Fuchspelzmantel. Die Haare hatte sie wieder mit einem goldenen Halbmond zusammengefasst, was ihre hageren, herben Züge und die tiefen Schatten um ihre Augen betonte. Ihr Kopf wirkte wie ein im Gras liegender, ausbleichender Pferdeschädel.
    »Teia«, sagte sie mit ruhiger Stimme.
    »Sprecherin.« Teia verneigte sich, senkte den Blick und schaute auf ihre Stiefel, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.
    Drwyn trat aus dem Zelt. »Ist alles bereit?«, fragte er.
    »Ja.« Ythas Stimme war schneidend wie frischer Schnee. »Die anderen Häuptlinge warten auf uns.«
    »Dann sollten wir anfangen.«
    Teia hob kurz den Blick und sah, wie Drwyn Ytha den Arm anbot. Die Sprecherin zögerte, doch dann ergriff sie ihn mit einer anmutigen knappen Verneigung. Teia biss sich auf die Lippe. Drwyn war kühner, als es sein Vater je gewesen war. Die meisten Männer des Clans würden eher barfuß über die Aschefelder von Muiragh Mhor laufen als eine Sprecherin berühren, und unter den Sprecherinnen war Ytha wie eine Eisbärin unter Füchsinnen.
    Die beiden gaben ein beeindruckendes Paar ab. Sie waren ungefähr gleich groß, hatten eine kräftige Statur für ihr Geschlecht, und während Ytha blass und kalt war, war Drwyn dunkel und heiß. Teia war verblüfft von dem starken Kontrast, aber auch von der seltsamen Richtigkeit dieser Paarung – Licht und Schatten, Feuer und Eis, völlig unterschiedlich und doch voneinander abhängig wie Tag und Nacht. Gemeinsam waren sie ein Ganzes, das die Crainnh führte, und jeder der beiden konnte Teia so leicht auslöschen wie eine Kerzenflamme.
    Sie sah ihnen nach, wie sie in der morgendlichen Geschäftigkeit des Lagers verschwanden, und ein seltsamer Schauer rann über ihren Körper – wie ein kalter Luftzug in einem warmen Zelt. Ihre Mutter nannte das die Berührung des Qualvogels. Der Überlieferung nach rührte dieses Gefühl daher, dass ein Rabe am Ort des eigenen Todes landete. Teia schüttelte es ab, aber sicherheitshalber machte sie das Zeichen des Schutzes über Stirn und

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