Die wilde Jagd - Roman
ihre Angst missverstanden hatte? Dass sie glaubte, Teia würde nicht die Zukunftsvisionen, die sie gesehen hatte, fürchten, sondern bloß die Schmerzen der Geburt? Ein winziger Hoffnungsfunke entzündete sich in ihr.
»Es tut mir leid, Sprecherin«, sagte sie mühsam.
Ytha klopfte ihr auf die Schulter. »Ganz ruhig. Es ist, wie es ist. Sag mir, wann war deine letzte Monatsblutung?«
Teia dachte nach. Es fiel ihr schwer, sich daran zu erinnern; die Aussicht darauf, Ythas Zorn doch noch zu entkommen, war so berauschend wie alter Met. »Vor drei Monaten. Ungefähr.« Nicht lange vor Drws Tod.
»Ein Sohn vor dem Ende des Sommers.« Ytha lächelte selbstgefällig. »Ein gutes Omen für den Clan. Steh jetzt von dem kalten Stein auf. Wir müssen es deinem Mann sagen.«
Neuerliche Furcht legte sich wie eine Faust um Teias Magen. War das alles etwa Ythas Plan gewesen? Hatte sie Teia nicht bloß in Drwyns Bett gelegt, sondern wollte sie auch, dass er sie heiratete? Teia wischte sich über die Augen und folgte der älteren Frau durch die labyrinthartigen Tunnel zurück zu den bewohnten Höhlen. Mit jedem Schritt wuchs ihre Angst.
Als sie beim Gemach des Häuptlings ankamen, war Drwyn schlechter Laune. Er schritt, nur mit einer Hose bekleidet, auf und ab und befahl gerade seinen Kriegern, einen Suchtrupp zusammenzustellen. Er verstummte, als er Teia kommen sah. Die Sprecherin begleitete sie und hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt. Die Kriegerschar lief im Tunnel hin und her; viele waren noch schläfrig oder nur halb angezogen, doch alle machten Platz für die beiden Frauen.
»Wo bei allen Höllen bist du gewesen?«, wollte Drwyn wissen und packte sie am Arm, während er die andere Hand hob.
»Halt, Drwyn«, sagte Ytha scharf. »Nicht hier. Nicht vor deinen Leuten.«
Er senkte die Hand, aber in seinen blutunterlaufenen Augen loderte noch immer die Mordlust. Ruckartig deutete er mit dem Kopf auf den Vorhang vor dem Eingang zu seinem Gemach. »Hinein.«
Teia eilte nach drinnen, gefolgt von Ytha, die langsamer ging. Drwyn kam als Letzter und zog den Vorhang hinter sich zu.
»Ich werde dir zeigen, was es heißt, vor mir wegzulaufen, du Schlampe!«, knurrte er und schritt auf Teia zu, die an die Wand zurückwich.
Ytha rollte mit den Augen. »Bei Machas Ohren, Junge! Ich habe sie zwecks einer Blutvision zu mir gerufen.«
Das ließ ihn innehalten. Er wirbelte herum und starrte die Sprecherin an. »Ach, ja? Und was hat sie ergeben?«
Ytha lächelte. »Ich glaube, das sollte deine Frau dir selbst sagen«, meinte sie.
Teia schluckte schwer. Ihre Handflächen waren feucht vor Schweiß, der schmerzhaft in die Wunde, die Ytha ihr mit dem Messer zugefügt hatte, tropfte, doch trotz ihres Mantels und der Wärme in der Höhle zitterte sie. Obwohl die Sprecherin da war, fürchtete sie sich vor dem Glühen in Drwyns Augen.
»Ich bin schwanger«, sagte sie mit leiser, schwacher Stimme. Sie konnte ihm nicht ins Gesicht sehen und zuckte schon vor seiner möglichen Reaktion zurück.
Doch er stand einfach mit offenem Mund da und war sprachlos.
»Ein Sohn, Drwyn«, warf Ytha ein. »Ein Erbe für den Häuptling.«
»Ein Sohn?«, wiederholte er. Ein breites Grinsen teilte seinen Bart, und er streckte die Arme aus. »Ein Sohn!«
Er hob Teia hoch, wirbelte sie herum und drückte ihr einen schmatzenden Kuss auf beide Wangen. Er vergaß sich sogar so weit, dass er auch Ytha einen Kuss zu schenken versuchte, doch sie wich ihm geschickt aus.
»Wann?«, wollte er wissen. »Wann wird die Geburt sein?«
»Im Mittsommer«, sagte Ytha, »aber wenn du aufhörst, das Mädchen herumzuwerfen, kann ich es dir mit Gewissheit sagen. Leg dich hin, Kind, und zieh die Beine an.«
Teia gehorchte. Während Drwyn neugierig zusah, kniete sich Ytha hin, öffnete Teias Schenkel und führte zwei kalte Finger in sie ein. Mit der anderen Hand drückte sie hier und da auf Teias Bauch.
Nach einem Augenblick nickte Ytha zufrieden, stand auf und wischte sich die Finger an Drwyns abgelegtem Hemd ab. »Die Geburt wird im Sommer stattfinden, in sechs Vollmonden, von jetzt an gerechnet.«
»Zum Dreimond«, sagte Drwyn und grinste. »Bist du sicher, dass es ein Sohn ist?«
»Es ist noch zu früh, um es mit letzter Gewissheit zu sagen«, meinte Ytha, »aber ich bin sehr zuversichtlich. Wir werden es vermutlich bald herausfinden. Und dann wird noch genug Zeit für eine Hochzeit bleiben.«
Teia setzte sich auf und richtete ihre Röcke. Eine Hochzeit, wenn sie
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