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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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vertraute Vision. Teia wagte einen Seitenblick auf Ytha. Zorn kräuselte die Stirn der Sprecherin, doch sie richtete ihre ganze Konzentration weiterhin auf die Bilder im Wasser.
    Zeig es mir .
    Die Zeichen, die sie als Sprecherin auswiesen, verschwanden, aber die Narbe blieb, nur war sie inzwischen weiß. Im See stand eine ältere Teia, die die Hände schützend auf die Schultern eines Jungen von etwa zwölf Sommern gelegt hatte. Es war derselbe Junge, den sie schon mehrfach gesehen hatte. Nun schien es, dass es ihr Sohn war. Wie in den vorangegangenen Visionen trug er den Halsring des Häuptlings. Die Wolfsköpfe an den Enden schimmerten, doch diesmal tropfte Blut von dem Ring. Sie keuchte auf. Also würde der Junge Häuptling sein, doch der Ring würde in der Schlacht erworben werden. In der Schlacht gegen wen?
    Zeig es mir .
    Das Bild des Jungen verschwamm und verschwand, und nur das von Teia blieb übrig. Nun lag der Ring um ihren eigenen Hals. Ytha riss die Augen auf und warf Teia einen raschen Blick zu, den Teia nur hilflos erwidern konnte. Das hatte sie noch nie gesehen. Sie – ein Häuptling? Das war unmöglich!
    Das Pochen in ihrem Blut wurde stärker. Ytha konzentrierte sich wieder und zog die Kräfte in sich zusammen. Teias Schnittwunde schmerzte. Sie schluchzte auf und schloss die Hand.
    Zeig es mir .
    Diesmal brauchte das Schimmern länger, bis es endlich aufklarte. Das darauffolgende Bild blieb zu Teias großer Erleichterung nur ein paar Augenblicke lang. Es zeigte eine Schlacht. Speere wurden gestoßen. Äxte hackten. Pferde bäumten sich auf, Männer schrien und starben. Das Bild wechselte zur Zeit nach der Schlacht. Keine lebende Seele regte sich mehr. Zerfetzte Leichname lagen im blutgetränkten Gras, und Raben stolzierten zwischen ihnen umher. Verwesendes Fleisch fiel von gesplitterten Knochen; zurückgelassene Waffen rosteten dort, wo sie hingefallen waren.
    Wieder erfolgte eine Veränderung; die Bilder flackerten immer schneller auf. Eine blutige Hand umfasste einen Halsring. Sonnenlicht glitzerte auf einem zerbrochenen Speer. Eine Wolfsmaske, ein Knurren. Nein, eine Wölfin, die über ihrem Wurf jaulender Welpen hockte. Eine grasbewachsene Ebene voller heller Sommerblumen. Ein unbekannter Mann, sein Kopf war von ausgebreiteten Schwingen umkränzt. Vollkommene Schwärze. Das Gesicht einer Frau, verzerrt, jammernd. Jungfräulicher Schnee unter harten, kalten Sternen.
    Die Bilder verwandelten sich nun so schnell, dass sie nicht mehr deutlich zu erkennen waren. Das Hämmern in Teias Kopf war so angeschwollen, dass es die Berge um sie herum zu erschüttern schien. Teia fiel auf die Knie, presste sich die Hände gegen den Schädel …
    Und es hörte auf. Lediglich die Ohren klangen ihr noch. Keuchend wagte sie es, den Blick zu heben. Ytha hatte die Augen geschlossen und schwankte, auf ihren Stab gestützt, vor und zurück. Dann holte die Sprecherin tief Luft, richtete sich auf und warf die Haare über die Schultern zurück.
    »Bemerkenswert«, sagte sie schließlich. In ihrer Stimme lag ein ganz schwaches Zittern. Sie drehte sich zu Teia um und sah sie lange an. »Diese Visionen zeigen nicht, was sein wird, sondern nur, was am wahrscheinlichsten eintreten wird. Wenn zwei mögliche Ereignisse gleich wahrscheinlich sind, erscheinen beide. Nie zuvor habe ich so viele Bilder gesehen. Deine Zukunft befindet sich in den Waagschalen der Götter, mein Kind.« Sie hielt inne, und ihr Blick wurde hart. »Du hättest mir von dem Baby erzählen sollen.«
    Tränen traten in Teias Augen. Jetzt wusste Ytha es. Sie konnte es nicht mehr verbergen. Die Sprecherin wusste es. Wie hatte sie ernsthaft glauben können, sie würde es für sich behalten können?
    Sie ließ die Schultern hängen und heulte los. Mit einem Mal entlud sich das ganze aufgestaute Elend der letzten zwei Monate. »Ich hatte Angst«, jammerte sie. Ihre Brust hob und senkte sich so heftig, dass es ihre Worte verzerrte. »Ich hatte s… so große A… Angst.«
    Ythas Hand legte sich sanft auf ihre Schulter.
    »Ganz ruhig, Teia«, sagte sie. »Du musst keine Angst haben. Es gibt keine größere Ehre für eine Frau, als ihrem Mann einen Sohn zu schenken. Die erste Geburt wird hart sein, aber es gibt Kräuter, mit denen die Schmerzen gelindert werden können.«
    Teia schluchzte noch immer so heftig, dass ihre Schultern zuckten, aber allmählich ließen ihre Tränen nach, und sie überdachte Ythas Worte. War es möglich, dass die Sprecherin den Grund für

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