Die wilde Jagd - Roman
einen Sohn gebar. Einen dunkeläugigen Jungen, der mit seiner kräftigen Gestalt und den kantigen, schönen Gesichtszügen seinem Vater und Großvater ähneln würde. Dieser Teil der Zukunft würde so eintreffen, wie sie es vorhergesehen hatte. Während ihre Gedanken wirbelten, betastete sie ihre Wange dort, wo bald die Tätowierung des Wolfskopfes prangen würde, und sie erkannte plötzlich, dass keine der Visionen von ihr in späteren Jahren ein solches Bild gezeigt hatte. Ihre Gedanken drehten sich noch schneller.
»Sprecherin?«, fragte sie schüchtern. »Ich habe die Gabe. Was bedeutet das?«
Ytha runzelte die Stirn. »Nach dem Clangesetz kannst du als Frau des Häuptlings nicht zur Sprecherin der Crainnh werden, aber ich will nicht das Kind des Häuptlings in Gefahr bringen, indem ich dir deine Gabe ausbrenne. Vielleicht solltest du einige Lektionen erhalten. Wenn wir wissen, ob die Vision, die ich gesehen habe, wirklich das Kind betrifft, das du unter dem Herzen trägst, werde ich meine Entscheidung treffen. Aber erst einmal werde ich dich jetzt in Ruhe lassen.«
Sie neigte vor beiden den Kopf ganz kurz und schlüpfte aus der Kammer. Drwyn folgte der Sprecherin dicht auf den Fersen und hatte nur eine schnelle, grobe Umarmung für Teia übrig, bevor er die Neuigkeit seinen Männern mitteilen wollte.
Sie sah zu, wie der schwere Vorhang hinter ihm wieder zufiel. Nun war alles geregelt. Sie war nicht mehr nur die Bettgenossin des Häuptlings, sondern auch seine Braut. Diese Aussicht sollte ihr eigentlich gefallen; sicherlich gefiel sie ihrem Vater. Als Großvater des nächsten Häuptlings würde seine Position im Clan gesichert sein. Und was sie selbst anging, so war ihr eine große Ehre zugefallen, wenn sie Ytha glauben durfte, auch wenn ihr die Aussicht, ein Kind zur Welt zu bringen und ihre Gabe zu verlieren, nicht sonderlich ehrenvoll erschien.
Sie fuhr sich mit den Händen über den Bauch und glättete ihre Kleidung. Würde es wirklich ein Junge sein? Morgen würde sie Mutter Macha ein Opfer bringen in der Hoffnung, dass dem so war, denn wenigstens würde es ein Lächeln auf das Gesicht ihres Vaters zaubern.
Sie drehte den Docht der Lampe herunter, und die Schatten in der Kammer wurden dichter und verbargen Drwyns verstreute Kleidung. Sie würde später noch genug Zeit für ihre häuslichen Pflichten haben. Sie war noch immer sehr müde und innerlich ganz durcheinander. Sie wollte sich nur noch zwischen den Fellen vergraben und sie sich über den Kopf ziehen.
Doch selbst Drwyns verbliebene Körperwärme in den Fellen reichte nicht aus, um sie Schlaf finden zu lassen. Ihre Gedanken wollten einfach nicht zur Ruhe kommen. Zu viele Geheimnisse waren enthüllt worden – nun wussten Ytha und Drwyn, dass sie die Gabe hatte und das Kind des Häuptlings trug –, und Ythas Reaktionen darauf waren ganz anders gewesen, als Teia erwartet hatte. Daher befürchtete sie, dass das Schlimmste noch kommen würde. Sie hatte den Blitz zucken sehen, und nun lag sie wach und wartete auf den Donner, der unweigerlich folgen musste.
Da war der Inhalt der Visionen: der blutige Halsring als ein Vorzeichen des Krieges und die anderen Bilder, die nun wie Blätter im Herbstwind in ihrer Erinnerung trieben. Irgendwann würde die Sprecherin über sie reden und sie deuten wollen, doch vielleicht wäre das alles umsonst, wenn der Untergang, den sie so oft im Wasser gesehen hatte, zuerst kam.
Sie legte sich auf die Seite und umfasste die verletzte Hand mit der anderen. Die Wunde pochte noch immer ein wenig, obwohl Ythas Messer nicht tief geschnitten hatte. In einem oder zwei Tagen würde sie sich geschlossen haben. In einer Woche würde sie kaum mehr zu sehen sein, doch das, was sie entfesselt hatte, würde Teia bis ans Ende ihrer Tage begleiten.
Blutvisionen wurden hervorgerufen, wenn drängende Fragen beantwortet werden mussten. Nur eine Frau mit der Gabe konnte die Geheimnisse im Blut einer anderen enthüllen. Bedeutete das, dass sich Ytha im Hinblick auf Teia drängende Fragen gestellt hatte? Warum sonst hätte sich die Sprecherin so große Mühe machen sollen, wo sie doch sicherlich mit Drwyns Bestrebungen, Krieg gegen das Reich zu führen, genug zu tun hatte?
Teia kamen noch unheimlichere Gedanken. Betrachtete Ytha sie als Bedrohung für Drwyns Pläne? Und machte das Kind, das sie trug, sie noch gefährlicher für die beiden? Was war mit den Bildern, die sie im Wasser gesehen hatte?
Teia zitterte und schlang unter den Fellen
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