Die wilde Jagd - Roman
Gesichter waren rußverschmiert. Das flackernde Lampenlicht war ungnädig mit ihnen; es hob ihre Runzeln und Falten hervor, sodass Frauen, die bei Tageslicht recht hübsch anzusehen waren, nun eher wie Kobolde wirkten, deren Augen farblos waren und wie Glas glitzerten.
Teia spürte ihre Blicke, und ihre Schritte wurden unsicher. Als sich die Nachricht durch die Höhlen verbreitet hatte, dass sie das Kind des Häuptlings trug, waren viele Frauen freundlicher zu ihr geworden, doch manche hatten sich daraufhin völlig von ihr abgewandt – in der Hauptsache junge Frauen, die gehofft hatten, selbst einmal Drwyns Aufmerksamkeit zu erregen, oder früher mit ihm das Lager geteilt hatten.
Teia nahm den Korb auf die andere Hüfte, sodass er den Blicken der Frauen entzogen war. Sie musste an ihnen vorbeigehen; es gab keinen anderen Weg zu den Vorratskammern. Teia holte tief Luft und hielt den Kopf hoch. Sollten sie doch starren!
Ich schaffe das .
Sie ging schnell, aber nicht so schnell an der Räucherkammer vorbei, dass jemand auf den Gedanken kommen konnte, sie habe Angst. Einige böse Blicke folgten ihr, und auch wenn nichts gesagt wurde, reichten die eindringlichen Blicke doch aus, um ihre Magie zum Prickeln zu bringen. Als eine Biegung im Gang sie endlich außer Sichtweite der anderen Frauen brachte, atmete sie erleichtert auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Hände zitterten.
Die Vorratsräume waren nur selten unbevölkert, selbst wenn sie nicht gerade bestückt wurden, und so ließ sich Teia Zeit damit, das eine oder andere zu nehmen, bis die anderen Frauen verschwunden waren. Im Zwielicht am hinteren Ende der Höhlen gab es hinter den Säcken und Scheffeln etliche Verstecke dort, wo das Wasser vor langer Zeit Löcher und Vertiefungen in den Stein gegraben hatte. Sie lauschte auf herannahende Schritte, steckte zwei Pfund gestohlenes Mehl und ein wenig Fleisch und Früchte in den Sack, dazu das Wams und die Hose, und stopfte selbigen dann in eine der verborgenen Öffnungen.
Nun war der Sack außer Sichtweite, und selbst wenn am Ende des Winters die Vorräte so zusammengeschmolzen waren, dass er wieder zu sehen sein würde, würde er wie jeder andere Sack mit Vorräten wirken. Bis es aber so weit war, würde sich ihr Schicksal entschieden haben. Entweder hatte sie dann den Clan verlassen – sie grämte sich, als sie an die traurigen Gesichter ihrer Eltern dachte –, oder sie befand sich in einem Zustand, in dem ein gestohlener Sack voller Vorräte gleichgültig geworden war.
Sie nahm den frisch beladenen Korb auf die Hüfte und ging. Kaum hatte sie zehn Schritte in Richtung der Räucherkammer zurückgelegt, als sie vor sich wispernde Stimmen hörte, die von den ausgewaschenen Felswänden verzerrt wurden. Teia ging schneller und bemühte sich, einzelne Worte zu verstehen.
Die Frauen hatten den Eingang zur Räucherkammer verlassen; ihre Besen und Rechen lagen umher. Ein Korb mit Holzspänen war umgekippt und sein Inhalt zwischen den Werkzeugen verstreut. Was immer sie gehört hatten, hatte sie zur Eile angetrieben.
Es mussten die zurückgekehrten Jäger sein. Sie eilte weiter. Nun klangen die Stimmen beunruhigt; vor ihr liefen einige Frauen auf die große Versammlungshöhle zu, und unter den Rufen und angstvollen Fragen, was denn hier eigentlich los sei, hörte Teia einen Mann, der vor Schmerzen jammerte.
Sie ließ ihren Korb fallen und rannte los. Trotz der Wärme in diesen unterirdischen Gängen fror sie. Mit klopfendem Herzen bahnte sie sich einen Weg durch die Menge der Frauen, die den Eingang der Höhle blockierten, und scherte sich dabei nicht um deren Beschwerden. Sie musste in Erfahrung bringen, wer verletzt worden war.
In ihrer Hast trat sie jemandem auf die Zehen und erhielt dafür einen Fluch und einen Stoß, aber sie schaffte es schließlich bis in die vorderste Reihe.
Die Kaverne wurde von flackernden Fackeln erhellt, die in Wandspalten steckten oder von Jägern in schneebestäubten Pelzen hoch gehalten wurden. Zwei von ihnen trugen eine große Trage aus Schösslingen, auf denen ein junger Mann lag. Teia erkannte in ihm Joren, den Jüngsten aus Drwyns Kriegerschar. Seine Augen waren schwarze Höhlen des Schmerzes in einem wachsbleichen Gesicht, und seine blutigen Hände, mit denen er sich den Bauch hielt, glänzten feucht im rußigen Licht.
»Bitte!«, schluchzte er. »Es tut so weh!«
Sein Kopf rollte auf der Decke von der einen Seite zur anderen, und es drehte Teia fast den Magen um, als sie
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