Die wilde Jagd - Roman
das Glänzen des Knochens unter seiner zerfetzten Kopfhaut sah. Sogar Ytha würde große Mühe haben, ihn zu retten.
Eine Bewegung in der Menge der Clanangehörigen auf der anderen Seite der Höhle erregte Teias Aufmerksamkeit. Jemand rief: »Macht Platz! Macht Platz für die Sprecherin!« Ytha eilte mit wehendem Mantel aus den Schatten.
Die anderen Jäger wichen zurück und tauschten besorgte Blicke. Mit einem Fingerschnippen erschuf Ytha eines ihrer perlmuttartigen Lichter und ließ es zunächst dicht an das Gesicht des jungen Mannes heran; dann glitt es über die aufgerissene Kopfhaut.
»Ein Wolf?«, fragte sie.
Einer der Jäger, die die Trage trugen, nickte.
Ytha schob die Hände des Jungen von der schimmernden Masse weg, die einmal sein Bauch gewesen war, und schnalzte mit der Zunge. Von ihrem Platz aus konnte Teia das ganze Ausmaß der Wunde nicht erkennen, doch Ythas Miene verriet ihr, dass sich Joren glücklich preisen durfte, wenn er noch einmal auf die Jagd gehen konnte.
»Bringt ihn zu mir«, sagte Ytha angespannt und ging weg; ihr Licht hüpfte hinter ihr her. Die beiden Männer folgten ihr mit der Trage, und dahinter ging eine Frau mit aschfahlem Gesicht und Tränen auf den Wangen.
Als die Sprecherin weg war, strömten die Clanangehörigen zusammen. Joren und seine weinende Mutter waren rasch vergessen, als die Frauen verzweifelt herauszufinden versuchten, ob ihre Männer heil von der Jagd zurückgekehrt waren. Teia suchte das Meer der Gesichter nach Teir ab, aber es befanden sich einfach zu viele Menschen um sie herum, und ihre Züge nahmen durch den Fackelschein ein seltsam fremdes Aussehen an.
»Papa?«, rief sie. Einige sahen zu ihr, wandten sich wieder ab. Panik stieg in ihre Stimme. »Papa!«
Beim Eingang entstand wieder ein Tumult. Weitere Fackeln, weitere springende Schatten, weitere Stimmen, doch diesmal waren es Jubelrufe. Der Rest der Jagdgesellschaft war eingetroffen, und Drwyns Name wurde lauthals gebrüllt.
Teia schob sich durch die Menge auf den Lärm zu. »Papa?«
Sie musste ihn finden, musste sich vergewissern, dass alles in Ordnung mit ihm war. Es war sehr früh im Jahr für einen Wolfsangriff, denn noch war genug Wild vorhanden, sodass die Rudel nicht vor Hunger den Wald verlassen mussten. Warum jetzt? Warum hier?
»Papa?«
Ein Gesicht nach dem anderen tauchte vor ihr auf, aber keines gehörte ihrem Vater. Sie waren entweder zu alt oder zu jung. Teia taumelte an ihnen vorbei, suchte, hoffte, ergriff Ärmel, zupfte an Ellbogen zurückkehrender Jäger, bis sie gegen etwas so Festes stieß, dass sie beinahe gestürzt wäre.
Sie hob den Blick, sah sich einem gefleckten Wolf mit klaffendem Kiefer gegenüber und schrie auf. Da erst begriff sie, dass das Tier tot war und über der Schulter eines Jägers lag; ein abgebrochener Speer steckte zwischen den Rippen der Bestie. Es war nicht das Tier aus ihrem Traum. Sie hielt sich die Hand vor die Brust, schaute noch höher und erkannte, dass es sich bei dem Jäger um Drwyn handelte.
Sein Mantel war mit Blut und Schnee überzogen, der nun allmählich schmolz und auf seine Stiefel tropfte. Den einen Arm hatte er um den Kadaver des Wolfs geschlungen, der andere Ärmel hing leer herab.
»Teia«, sagte er und grinste. Offensichtlich war er sehr zufrieden mit sich und mit der Tatsache, dass sie nach ihm gesucht hatte. »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.« Er klopfte gegen die zottelige Flanke des Tieres. Dabei klaffte sein Mantel auf, und sie sah, dass sein linker Arm in einer behelfsmäßigen, blutdurchtränkten Schlinge steckte.
»Du blutest«, sagte sie.
Er warf einen kurzen Blick auf seinen Arm. »Das ist bloß ein Kratzer. Das Biest hat mich gebissen.«
Wenn sich die Wunde entzündete, würde er vor Schmerzen so unleidlich sein wie ein Bär mit einem abgebrochenen Zahn. Teia wusste, wer darunter zu leiden haben würde.
»Hundebisse können schlimme Folgen haben«, sagte sie vorsichtig und griff nach seinem verletzten Arm. »Er sollte wenigstens gesäubert werden.«
Er riss den Arm weg. »Ich habe gesagt, es ist bloß ein Kratzer! Mach nicht einen solchen Wind, Frau.«
Zwei seiner Männer traten hinter ihn und klopften ihm auf den Rücken. »Sauber erlegt, Häuptling!«, krähte der eine und riss so heftig am Schweif des Wolfes, dass dessen Kopf hin und her pendelte.
»Wenn du ihm nicht den Speer zwischen die Rippen gerammt hättest, wäre Joren jetzt tot. Du bist ein Held – er wird seinen Erstgeborenen nach dir
Weitere Kostenlose Bücher