Die wilde Jagd - Roman
unausgesprochen geblieben. Als er die gegenüberliegende Treppe erreicht hatte und die Stufen hochstieg, rief Alderan hinter ihm her: »Ich nehme dich beim Wort, Gair. In drei Tagen brechen wir nach Gimrael auf.«
In drei Tagen brechen wir auf zu einer gewaltigen Zeitverschwendung . Verdammt, er hatte sein Wort gegeben. Und er konnte es nicht mehr zurücknehmen.
Die Wut des Jungen tobte in Savins Kopf wie eine Hummel an einer Fensterscheibe, wenn sie mit dem Kopf immer wieder gegen das Glas schlug, als ob reine Hartnäckigkeit ein Loch hineinsprengen könnte. Es war beinahe lustig, wenn man bedachte, welch große Hoffnungen Alderan in den Jungen und seine Fähigkeiten gesetzt hatte.
»Kraftvoll, aber so dumm«, murmelte Savin. Begreifst du nicht, dass ich dich hören kann?
»Hören« war natürlich ein zu starker Ausdruck. Er konnte keine einzelnen Worte verstehen, aber wenn die Gefühle wogten und sie insbesondere gegen ihn selbst gerichtet waren, spürte er sie so, wie jemand spürte, dass er angestarrt wurde. Und diese Gefühle waren eindeutig stark. Hass. Angst. Ein brodelnder Morast aus Schmerz und Tod und Rache, der an ihm saugte wie der Sumpf am Stiefel.
»Du bist aber ein sehr unglücklicher Junge, nicht wahr?«, sagte Savin vor sich hin und goss ein wenig Wein in sein Glas. »Du wirst dir noch etwas brechen, wenn du nicht aufpasst.«
Er hatte gehofft, besser in Gairs Gedanken eindringen zu können, aber die Heilerin war gut gewesen, sehr gut sogar, und so schnell wie ein Messer. Sie hatte erkannt, was er getan hatte, und einen Schild um den Geist des Jungen gelegt. Dann hatte sie die Kraft des Leahners als Waffe benutzt und damit Savins Saat aus den Tiefen des Gehirns entfernt, noch bevor diese fest verwurzelt war. Nun besaß er kein Fenster zu Gairs Kopf, sondern sah nur ein grobes Schattenspiel auf der Oberfläche des Schildes. Er empfing Eindrücke, aber keine Einzelheiten. Es war amüsant, Gair zuzusehen, aber bisher hatte es nichts erbracht.
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und streckte die Beine zum Feuer. Auch wenn ihn sein Versagen ärgerte, war er doch beeindruckt von den Fähigkeiten des Mädchens. Er nippte müßig an seinem Wein und fragte sich, ob sie in Wirklichkeit genauso hübsch war wie in Gairs Kopf.
Von dem Eisenkäfig in der Ecke aus beobachtete ihn das Feuervogel-Mädchen mit starrem Blick. Ihre Bemalungen waren verschmiert, und Savin roch sie quer durch das Zimmer: die scharfe Note von Schweiß und den schweren Duft ihrer gepeinigten Spalte. Der Tiergeruch war abstoßend und gleichzeitig sehr erregend; er drang unmittelbar in Savins Kleinhirn, wo Begierden lauerten, die er nicht entfesseln durfte. Zumindest noch nicht. Er würde sie zum Schreien bringen, aber das musste noch etwas warten.
1 6
Im Wasser sah Teia, wie eine andere Teia lernte, mit dem Feuer zu arbeiten.
Sie sah sie mit gekreuzten Beinen dasitzen, wie sie selbst es gerade tat, eingehüllt in den warmen goldenen Glanz einer Tonlampe, die auf dem Boden stand. Um sie herum waren Teppiche und Kissen zu erahnen, was andeutete, dass sie im Gemach des Häuptlings saß, auch das eine Parallele.
Zuerst war das Bild so verschwommen wie in Ythas Bronzespiegel. Als es langsam klarer wurde, traten Einzelheiten hervor: Falten in der Kleidung der anderen Teia sowie das Schimmern und Glitzern einer Halskette aus Perlen. Die Lampenflamme loderte in den Augen der anderen Teia, wurde eine Handspanne lang, bevor sie zu einem bläulichen Glimmen um den schwarzen Docht schrumpfte und dann wieder ihre vorherige Größe annahm. Teia konnte beinahe die leise wispernde Musik hören, nach der die Flamme tanzte.
Vorsichtig , sagte Teia zu sich selbst und erinnerte sich an Ythas Lektionen. Wahrzusagen bedeutete zu beobachten; die Sprecherin hatte gesagt, es sei gefährlich, sich in das Bild im Wasser hineinziehen zu lassen oder den Versuch zu unternehmen, es zu verändern. Teia sollte nur zuschauen, was immer sie sehen mochte.
Dennoch verspürte sie das erregende Gefühl eines kleinen Triumphes im Magen. Zumindest lernte sie allmählich, ihre Gabe zu beherrschen. Das Wasser zeigte ihr einen Moment in der Zukunft, den sie ausgesucht hatte, anstatt ihr nur verwirrende Bruchstücke ohne Sinn und zeitlichen Zusammenhang zu präsentieren.
Als sie spürte, wie sich ihre Mundwinkel zu einem Lächeln hoben, blitzten weiße Reißzähne neben ihrem Gesicht auf, und die Kiefer eines gewaltigen Hundes schlossen sich um das Bild im Wasser und
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