Die wilden Jahre
sehr das große überseeische Land Susanne geformt hatte, ohne ihr die Persönlichkeit zu nehmen.
»Grüße von Felix«, sagte Susanne, »er kommt nach.«
»Wie geht es little Martin?«
»Er macht sich prächtig, Patenonkel.«
»Und Nathan?« erkundigte sich Martin.
»Spricht schon fast besser Englisch als ich«, versetzte Susanne.
»Wie Mütter lügen«, erwiderte er lachend, drehte sich zu Petra, ergriff ihre Hand, sagte stolz zu Susanne: »Darf ich vorstellen – … Petra.«
Susanne verstand ihn nicht.
»Meine Tochter.«
»Man sieht's«, erwiderte die junge Frau, die ihre Überraschung überwunden hatte.
»How do you do? I am glad to see you«, riskierte Petra ihr Schulenglisch.
Susanne zog sie an sich und küßte sie, während die Stewardeß Mrs. Lessing vergeblich mitzuteilen versuchte, daß sie heute nicht nach München weiterfliegen könne, da der Flugplatz Riem wegen Nebel gesperrt sei.
Martin kümmerte sich um Susannes Gepäck.
»Hatten Sie einen guten Flug?« machte inzwischen die Vierzehnjährige Konversation. »Wie lange waren Sie unterwegs?« Ohne die Antwort abzuwarten, setzte sie hinzu: »Sie sind sicher eine gebürtige Deutsche und haben einen Amerikaner geheiratet?«
»Mein Mann ist Martins Freund«, erwiderte die junge Frau, »hat dir das dein Vater nicht erzählt?«
»Nein«, antwortete Petra, die Martin zurückkehren sah und nun bewußt boshaft darauf wartete, daß er ihre Worte hören konnte: »Ich kenne nämlich meinen Vater noch nicht sehr lange.«
»Stimmt«, sagte Martin, »man merkt es an der Erziehung.«
»Fifth Avenue?« fragte Petra und deutete auf Susannes Reisekostüm.
»Ja.«
»Außerdem habe ich noch nie einen Lippenstift in so dezentem Zyklamenrot gesehen.«
»Dann sollst du es öfter«, sagte Susanne, entnahm ihrer Tasche einen Lippenstift in einer Emaillehülle mit einem kleinen Spiegel, den man zurückklappen konnte, und schenkte ihn der Kleinen.
»Schwieriges Kind«, sagte Martin, nachdem er seine Tochter abgesetzt hatte. »Verstehst du, Susanne, ich muß mich erst an meine Rolle als Vater gewöhnen.«
»Beherrscht Petra dich schon?«
»Ich fürchte«, erwiderte er, »und sie teilt sich die Macht mit einer anderen Despotin …«
»Maman«, sagte Susanne. »Wie geht es ihr?«
»Gut – aber dafür sorge schließlich ich …«
»Natürlich habe ich dir eine ganze Menge von Felix zu erzählen«, begann die junge Frau wieder, »aber er spielt nicht lange Babysitter. Er hat noch einen Vortrag zu halten – und kommt dann nach.«
»Wie lange bleibt ihr?«
»Vielleicht – sehr lange. Felix hält es zwar vor mir geheim, aber ich weiß es natürlich: man hat ihm in Deutschland einen Lehrauftrag angeboten.«
»Gratuliere.«
»Die Universität Frankfurt wurde auf eine seiner Arbeiten aufmerksam. Aber du weißt ja, wie Felix ist, empfindlich wie eine Mimose. Er will sich erst umsehen – und sich bitten lassen.«
»Sonst – macht er keinen Kummer?«
»Nein«, antwortete Susanne.
Ihre Stimme mißfiel Martin; er fragte scharf: »Wirklich nicht?«
»Nein«, antwortete sie gedehnt, »nur …«
»Ein Rückfall?«
»Nicht so ernst wie früher«, sagte Susanne, »vor ein paar Monaten. Er hatte sich über etwas aufgeregt, und …« Susanne sah die Sorge in Martins Gesicht. »Wirklich nicht so schlimm, wie du denkst«, setzte sie hinzu. »Es war mehr Vergeßlichkeit. Seitdem ist er wieder so wachsam wie früher.«
Martin erbot sich, Susanne noch heute mit dem Wagen nach München zu bringen, wo er ohnedies geschäftlich zu tun habe, aber die junge Frau erwiderte, daß es unsinnig sei, nachts durch den Nebel zu fahren, und so einigten sie sich, erst am Morgen weiterzureisen.
Sie gingen, da Maman sich ihnen anschloß, zu dritt zu Tisch und wählten ein Ausflugsrestaurant, das für seinen guten Keller bekannt war.
Hier, zwischen Suppe und Hauptgericht, unerwartet und erfreut, sah Martin die junge Frau wieder, nach der er eine Weile vergeblich hatte suchen lassen: Eva. In größerer Gesellschaft verließ sie gerade das Lokal.
Sie erkannten sich gleichzeitig: Martin grüßte mit den Augen, und die Dame im rauchgrauen Spitzenkleid antwortete so dezent, so schnell, daß es allen zu entgehen schien.
Doch Madame Rignier hatte es verfolgt. »Wer war das?« fragte sie.
»Eine Unbekannte, Maman«, erwiderte Martin, »ich nenne sie Aschenbrödel.«
Der Nebel war am nächsten Morgen weg, und Martin fuhr mit dem italienischen Sportwagen so schnell, als könne
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