Die wilden Jahre
er das Flugzeug überholen. Am westlichen Stadtrand angekommen, wurde Susanne neugierig und unruhig.
»Das soll meine Heimatstadt sein?« fragte sie.
»Das ist München«, erwiderte er lachend, »daran ist nicht zu rütteln.«
»Ich kenne mich nicht mehr aus«, fuhr der Gast aus New York verwirrt fort, »Martin, ich habe Herzklopfen.«
»Deine Eltern wissen, daß du kommst?«
»Aber ja«, antwortete Susanne, »sie waren vor ein paar Monaten noch drüben. Doch diese Stadt, so neu – so fremd …«
Martin erwies sich als unaufmerksam am Steuer, verfuhr sich, landete in dem verstopften Karussell des Stachus, versuchte, ihm zu entkommen, und fuhr im Kreis herum.
»Wohin müssen wir eigentlich?« fragte er.
»Frag mich nicht«, antwortete sie nervös, »ich weiß es nicht.«
Endlich kamen sie zum Marienplatz, und jetzt fand sich Susanne in ihrer Vaterstadt zurecht.
»Bitte«, bat sie, auf dem Weg zu ihren Eltern, »einen kleinen Umweg noch …«
Sie fuhren zur früheren Militärregierung, und Susanne empfand das schmucklose Gebäude, das noch immer von der US-Army belegt war, als Insel der Ruhe. Sie suchte das Fenster des Zimmers, in dem sie Felix zum erstenmal begegnet war, und freute sich darüber.
»Jetzt bitte zur Isar«, sagte sie.
Am Ufer stiegen sie aus, es war der Platz, an dem sie als Kind gebadet hatte.
»Habe ich noch einen Wunsch frei?« fragte sie dann.
»So viele du willst.«
»Dann ins Hofbräuhaus.«
Sie saßen in der Schwemme des berühmten Hauses, und die junge Frau, die es als Schleuse zu ihrer Heimatstadt benutzte, sagte: »Es ist völlig töricht – wie die meisten Münchner, habe ich es bisher nur von außen gekannt, und ausgerechnet heute muß ich …«
Eine Stunde später brachte er Susanne zu ihren Eltern und zog sich bei der Begrüßung unbemerkt zurück. Da er noch einige geschäftliche Regelungen zu treffen hatte, blieb er in München über Nacht und fuhr in das Hotel, in dem er ein ständiges Appartement hatte.
Draußen fuhren Lautsprecherwagen vorbei und forderten die Passanten auf, am morgigen Sonntag die Regierungspartei zu wählen. Martin setzte auf einen knappen Sieg der bisherigen Koalition; mit einem politischen Erdrutsch rechnete er nicht.
Er bestellte seine Partner ins Hotel, wo er auch das Gerücht auffing, daß ein Miteigentümer des Tageskuriers sich von der Zeitung zurückziehen und bei günstigem Angebot seinen Anteil verkaufen wolle.
Als Martin den Namen erfuhr – Flachbauer –, hatte er eine vage Erinnerung, die sich nicht genau fassen ließ. Wichtiger als der amtsmüde Verleger schien ihm die Möglichkeit, auf die Zeitung Einfluß zu nehmen.
Dieses Blatt brauchte längst nicht mehr von den Papierzuteilungen eines US-Captains künstlich ernährt zu werden. Den regionalen Rahmen sprengend, war es zu einer der führenden Zeitungen geworden, so daß es namhafte Mitarbeiter nicht erst anzuwerben brauchte. Nach und nach hatte sich eine heterogene Redaktion zusammengefunden, nicht in allem, doch darin einig, daß es sich in München besser leben lasse als in Köln oder Frankfurt.
Martin versuchte über einen neutralen Bekannten Dr. Schieles eine Verbindung zu Flachbauer herstellen zu lassen. Der Verleger hielt sich auf seiner Jagdhütte auf, war aber bereit, nach München zu kommen. Auch ihm, dessen Anteile an der Zeitung seine Teilhaber billig aufkaufen wollten, paßte ein ruhiger Sonntag als Verhandlungstag.
Während Martin auf Flachbauer wartete, ließ er sich mit einer Frankfurter Telefonnummer verbinden, die er seit gestern kannte. Bis die Verbindung zustande kam, versuchte er, Aschenbrödels Bild zu formen, sah ihre grünblauen Augen, ihre braunroten Haare, die Konturen ihres herben Gesichts.
»Ritt«, meldete er sich.
»Das war zu erwarten«, antwortete Eva. Obwohl ihre Stimme spöttisch klang, umfloß sie Martin wie eine Zärtlichkeit.
»Es war nicht leicht zu finden.«
»Aber Sie haben es geschafft, vermutlich über den Geschäftsführer …«
»Natürlich, Aschenbrödel. Ich habe Sie lange gesucht und dann doch nur zufällig gefunden. Aber«, setzte er hinzu, »ich halte etwas von Zufällen. Gehen wir miteinander aus?«
»Wenn ich will«, antwortete Eva.
»Also sehen wir uns?«
»Wenn Sie mich darum bitten.«
»Ich bitte«, sagte Martin.
»Ich komme«, entgegnete sie.
»Vielen Dank«, schloß Martin. »Morgen?«
»Übermorgen«, erwiderte Eva.
Er legte auf und überlegte, wie der Abend verlaufen würde. Wie immer, dachte er,
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