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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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reibungslos; an keine Mindestreserven gebunden, konnte er die Industrie mit Milliardenbeträgen finanzieren und anstelle der Banken entsprechend verdienen.
    Wenn diese Bankiers Bettinas Rat befolgten, wenn sie ihn von nun an boykottierten, wenn sie seine Konten kündigten, den Umgang mit ihm ablehnten, dann könnte Ritt seine Geschäfte nicht mehr abwickeln. Wenn sich die Banken einig waren, stand die Rotation still, und die Industrie würde künftig ihren Geldbedarf wieder auf herkömmlichen Wegen decken.
    »Sie entschuldigen mich …«, sagte Bettina hastig. Das Lächeln blieb in ihrem Gesicht wie vergessen stehen, während sie weiterging. Ihre Lippen zitterten leicht, als sie Petra, ihrer Tochter, entgegentrat, der Vierzehnjährigen, die wie eine Achtzehnjährige aussehen wollte, mit einer kunstvoll verwehten Windstoßfrisur und viel Farbe im Gesicht.
    Petra, die auf halbhohen Stöckeln wie auf Stelzen ging, wurde von Bettina abgefangen, die sich bei ihr einhängte und mit ihr den Salon verließ. Die Gäste sahen dem hübschen Bild bewundernd nach, ohne zu merken, daß die Tochter abgeführt wurde.
    »Ich habe dich gewarnt«, fuhr Bettina sie draußen an, »und ich werde dich bestrafen.«
    Sie zog das Kind die Treppe hoch.
    »Ich weiß genau, warum ihr …«, sagte Petra.
    »Was weißt du?«
    »Warum ich nicht nach unten darf.«
    »Weil du noch zu jung bist«, erwiderte Bettina gelassen.
    »Nicht zu jung, um eure …«
    »… eure was?« fragte die Mutter scharf.
    »… Gemeinheiten zu verstehen – deshalb soll ich hier oben versauern, weil ihr Angst habt, daß ich …«
    Durch die Nebel des Zorns sah Bettina Ritts verhaßtes Gesicht, Petras Lippen verquollen zu seinem Spott. Seine Augen blickten sie an, griffen sie an.
    »Du bleibst auf deinem Zimmer«, unterbrach Bettina das Kind mühsam, »bis du gelernt hast, wie man sich benimmt.«
    »Das nützt euch gar nichts. Damit du es endlich weißt: ich halte zu ihm. Auch wenn ihr mich nicht leiden könnt, weil er – weil er euch überlegen ist – zu groß für euch, zu …«
    Bettina spürte, daß ihr Haß sich blähte wie ein Segel im Wind. Haß auf den Mann, der es darauf anlegte, ihr Kind zu bestechen, abzuwerben, der eigenen Mutter zu entfremden.
    »Hörst du, ich halte zu ihm! Er ist mein Vater. Gott sei Dank! Er – und nicht der da unten.«
    Bettina lehnte sich an die Wand, als suche sie eine Stütze, eine Hilfe gegen diesen frechen aggressiven Mund, gegen diese wilden, glänzenden Augen.
    »Benimm dich!« stieß sie mit hohler Stimme hervor, über deren Klang sie selbst erschrak. Sie brauchte Luft, Zeit, Beherrschung. Sie sah zum Fenster hinaus, in den Garten, verfolgte, wie der Wind das welke Laub hochwirbelte, betrachtete die kahlen Äste der Bäume, Skelette des Sommers, und gestand sich dabei zögernd ein, daß sie den Augen Petras auswich, die wie im Fieberwahn weitersprach:
    »Ich bin für ihn – auch wenn ihr alle gegen ihn seid und du mich nur einmal im Monat zu ihm läßt –, aber ich werde älter, und dann gehe ich ganz zu ihm – und nie mehr zurück.« Sie sprach keuchend: »Hörst du, nie mehr zurück zu ihm«, sie deutete nach unten, »deinem – deinem Mann …«
    Bettina hatte nichts mehr von der sicheren kühlen Gastgeberin, die den Salon beherrschte; sie ging mit müden, schleppenden Schritten auf das Fenster zu, um es zu schließen.
    Petra vertrat ihr den Weg. »Und jetzt kannst du mich bestrafen«, sagte sie gehässig, »tu's doch!«
    Bettina zog den Kopf ein, als ducke sie sich vor Schlägen.
    »Tu's doch!« rief Petra. »Schlag mich doch! Für ihn lass' ich mich gern …« Die Vierzehnjährige lächelte ihr zu, von unten hinauf.
    Bettina erschrak, als ihre Hand die Wange des Kindes traf. In ihrem Gesicht glühten Flecke. Es sah aus, als habe sie sich selbst getroffen.
    »Ihre Frau«, sagte Präsident Drumbach unten im Salon, »ist nicht nur charmant, sondern auch klug, ich muß Ihnen zu ihr gratulieren, Herr Staatssekretär. Wir werden den Gedanken Ihrer Gattin …«
    »Sie verstehen«, entgegnete Dr. Schlemmer mit seiner tranigen, ein wenig fistelnden Stimme, »daß ich mich als Beamter zu dieser Sache nicht weiter …«
    Wie im Kino blieb der Ton weg, während sich seine Lippen noch heftig bewegten.

VIII
    Überraschend hatte am nächsten Tag Susanne Lessing ihre Ankunft aus New York telegrafiert, und so fuhr Martin am frühen Nachmittag durch dichten Nebel zum Rhein-Main-Flughafen, wo seine Befürchtung zutraf:

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