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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Besucher aus New York Vertrautheit, Erinnerung, Begegnung. Dann war er verblüfft und erleichtert, weil die Straße, die er sah, nur noch wenig mit ihrer Vergangenheit gemein hatte: allein die Kastanienbäume waren stehengeblieben, Wächter vor wuchtigen Bankhäusern, die ihre Dächer hochtrugen, mit dem Selbstbewußtsein des Wohlstandes. Ein Geldinstitut stand neben dem anderen, vertraute Konkurrenten, und Felix wunderte sich, daß sich das Kapital ausgerechnet in einer Stadt mit Linksdrall angesiedelt hatte.
    »Halten Sie einen Moment«, bat er den Fahrer.
    »Das geht hier nicht«, erwiderte der Mann am Steuer, fuhr aber langsam.
    Auch auf dem Grundstück der früheren Villa Lessing war ein Bankpalast gewachsen, und Felix mußte sich erst am dahinterliegenden Palmengarten orientieren, um den alten Platz noch zu erkennen.
    »Hier bin ich aufgewachsen …«, Felix redete, ohne es zu wollen, sich über die Worte ärgernd wie ein Mann, der sich bei einem Selbstgespräch überrascht, »bei meinem Vater.« Er starrte angestrengt nach vorn. »Er lebt nicht mehr. Er … wurde ermordet … damals …«
    Der Fahrer beschleunigte das Tempo, hob die Schultern, als müßten sie sein Haupt stützen, räusperte sich, schwieg, setzte an: »Ob Sie es glauben oder nicht, Mister«, er sprach hastig, »wenn's nach mir gegangen wäre, dann wäre kein einziger Jude umgebracht worden.« Er schaltete den Wagen roh, das Getriebe stöhnte metallisch. »Aber die da oben …« Er kurbelte die Scheibe hinunter, warf seine Zigarette durch das offene Fenster und füllte seine Verlegenheit mit groben Flüchen, weil der Wagen vom Verkehr des Feierabends hoffnungslos umspült wurde.
    Dem jungen Reporter in der Lederjacke war an der Empfangsrampe des Flugplatzes der verstörte Amerikaner im grauen Regenmantel sofort aufgefallen. Guido Brenner wußte, daß er ihn kannte, aber während seine Gedanken noch nach der Gelegenheit zurücktasteten, mußte er den bekannten Unbekannten ziehen lassen, da endlich die Telefonzelle frei geworden war.
    Er gab den Bericht an seine Zeitung weiter, ein Boulevardblatt mit einigem Anspruch, dessen Kolumne SOEBEN ANGEKOMMEN ihm oblag; das war viel für sein Alter, wenig für seinen Ehrgeiz.
    Guido, ein hagerer, knochiger Mann von Sechsundzwanzig, der seine Gleichgültigkeit gegenüber der Umwelt betonte, ein leicht verwildertes Aussehen züchtete und eine saloppe Sprache pflegte, war bereits abgehärtet in einem Beruf, den er noch nicht lange ausübte. Er erwies sich als ein tüchtiger Reporter, da er ein scharfer Beobachter war; die Zeit hatte ihn dazu erzogen.
    Er kam aus der Kabine zurück und erinnerte sich jetzt des seltsamen Amerikaners, ging zur Fluggesellschaft und sah die Passagierliste durch. Bei dem Namen Lessing wußte er, woher er den Mann aus New York kannte: als Captain Lessing der Militärregierung und Freund eines Untermieters, den seine Eltern vor vielen Jahren aufgenommen hatten.
    Guido rief die Empfangschefs der Hotels an, um zu erfahren, wo Mr. Lessing als Gast avisiert war; schon beim zweiten Versuch erfuhr er, daß der Mann von drüben in dem großen Haus am Kaiserplatz Quartier nehmen würde. Guido setzte sich in seinen Wagen, fuhr in die Stadt zurück und kämpfte sich zu diesem Hotel durch; Felix Lessing hatte, kaum gelandet, schon einen Verfolger.
    Die Droschke pflügte sich durch den dichten Verkehr; Felix sah, daß aus der Innenstadt eine City geworden war. Passanten strömten aus den Geschäftshäusern, überschwemmten die Gehsteige. Wiederholt wechselte das Licht der Signallampe, ohne daß die Wagen vorankamen. An einem Übergang stauten sich die Fußgänger und hasteten plötzlich auf die andere Seite wie Soldaten durch das Trommelfeuer.
    Ab und zu entdeckte Felix einen malerischen Winkel des alten Frankfurt inmitten des steinernen Meeres. Die Stadt schien ihm so bedrängt wie bedrängend, versteint und verträumt, historisch gewachsen und doch amerikanisiert.
    »Das Ritt-Hochhaus«, verkündete der Fahrer und deutete auf Martins Turm, den Felix nur aus einer Illustrierten kannte. »Dreizehn Stockwerke«, leierte der Mann am Steuer herunter, »fünfzehn Millionen Baukosten.«
    »Kennen Sie Ritt?« fragte Felix belustigt.
    »Den kennt doch jeder.«
    »Warum?«
    »Ein toller Bursche. Der zeigt's ihnen! Er hat sich hier festgesetzt und wird immer größer, dem gehört schon die halbe Stadt – und die Frauen erst …«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »Ritt ist bekannt wie ein

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