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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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ironisch.
    »Gibt es in Amerika noch Kühe?« erwiderte der Reporter heftig.
    Felix betrachtete ihn überrascht und gestand sich, daß dieser junge Deutsche begann, ihn zu interessieren – und ihm zu gefallen. »Ich kann Ihnen wirklich nicht helfen«, erklärte er dann. »Ich bin ganz heimlich gekommen, weder meine Frau noch mein Freund … Ich wollte mich erst umsehen, und dann …«
    »Gut«, entgegnete Guido, »dann bringe ich nichts über Ihre Ankunft.«
    »Sie täten mir einen Gefallen«, entgegnete Felix. »Nehmen Sie einen Drink?«
    »Mit Vergnügen.«
    Der Kellner brachte Whisky und Orangensaft. Guido, der gekommen war, um Fragen zu stellen, merkte bald, daß er interviewt werden sollte, und stellte sich bereitwillig.
    »Bin ich zu spät nach Deutschland zurückgekommen?« fragte der Besucher aus New York.
    »Nein«, entgegnete Guido, »vielleicht zu früh.«
    »Warum?«
    »Es ist noch nicht entschieden, was aus Deutschland wird«, antwortete der Reporter und lächelte mit schrägem Mund.
    »Haben Sie immer so schnell eine Analyse zur Hand?«
    »Sind Sie immer so abstinent?« fragte Guido und deutete auf den Fruchtsaft.
    »Ja. Ich hatte im Leben mein Quantum Whisky bereits.«
    »Keine Ausnahme – nach dem langen Flug?«
    »Außerdem ist mir Alkohol zuwider«, erklärte Felix, wie ein Kind sprechend, das den Text eines Gedichtes beherrscht, ohne seinen Inhalt zu erfassen; Guido überlegte, wie ein so vernünftiger Mann zu einem so verdächtigen Eifer gekommen sein mochte.
    Um das deutsche Wunder kennenzulernen, brauchte Felix nicht einmal sein Hotel zu verlassen; ganztägig standen hier Säle und Salons als Séparées und Tagungsräume im Dienst des Geschäfts. Schon am Frühstückstisch trafen sich die ersten Verhandlungspartner, und mitunter blitzten aus dem Dunkel der Gespräche Zahlen um Prozente und Provisionen auf, Worte in der Geheimsprache des Profits, erlernt in der Schule des Erfolgs. Die galante Intimität des Hauses schien sich nur mehr an die kommerzielle Diskretion zu verschwenden.
    Gruppenweise trafen sich die Kaufleute, von einem Boy mit der Tafel eingefangen. Im ersten Stock tagte die Export-Union des Films. Im ›Gelben Zimmer‹ veranstaltete die Uhrenindustrie eine Pressekonferenz; schon am späten Vormittag hatten im Frühstücksraum nur noch Vertreter der Schwerölindustrie Zutritt, während hinter den dichten Polstertüren des ›Silbersaals‹ das private ZBV-Institut einer Bankengruppe seine illustren Gäste mit Austern, Sekt und Sparparolen fütterte.
    Felix mietete sich einen Wagen, fuhr durch die Stadt und war immer wieder überrascht, wie hier Gestern und Morgen, gemächliche Vergangenheit und wahnwitzige Zukunft aufeinanderprallten.
    Er bemerkte, daß die Menschen nur noch wenig Zeit zu haben schienen. Ihre Haare waren kürzer, ihre Jacken weiter, ihre Hosen enger und ihre Gesten schneller geworden. Hohlwangigkeit hat sich in Hängebacken verwandelt, dachte Felix, der Heldentod in Herzinfarkt, und die Zeit, die die Erfolgsmenschen früher zum Organisieren brauchten, sitzen sie heute vermutlich geduldig in den Sprechzimmern ihrer Ärzte ab.
    Er wagte sich in die Universität, wurde höflich empfangen und nach einem guten Gespräch herzlich verabschiedet. Man verstand sein Zögern, die Berufung anzunehmen, und gewährte ihm Frist.
    Am Nachmittag kam Guido, mit dem sich Felix verabredet hatte. Er freute sich, einen Cicerone zu haben, und es verdroß ihn, einen zu brauchen. Der Reporter zeigte ihm die Geschäfte, in deren Auslagen Überfluß schwelgte, die Tollwut des Luxus und die Scham der Armut; er führte ihn durch die Nepplokale, die das Bahnhofsviertel wie eiternde Wunden durchsetzten, und zeigte ihm Mädchen, die vor den Türen trostloser Buden standen, angezogen, als seien sie ausgezogen, wippend, lockend, entschlossen zu allem, bereit für jeden, halbe Kinder noch, die ihre Jugend in kleinen Portionen verkauften.
    Sie besuchten die Feierabendmesse des gotischen Gotteshauses inmitten der City und sahen Menschen mit ergebenen Gesichtern, die nicht nur der Kerzenschein erhellte.
    Sie zogen von Station zu Station; Guido nahm Schnaps, Felix Apfelsaft als Wegzehrung. Einmal griff der Gast aus Amerika nach dem Glas des Jungen, roch den Duft des rauchigen Whiskys, hob das Glas an die Lippen, kostete einen winzigen Schluck, stellte es wieder ab, ohne Hast und ohne Reue.
    Nicht wahr, guter alter Medizinmann, erinnerte er sich an Doc Snyder – dieser leitete inzwischen eine

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