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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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über ihren Mund, über ihre Wangen, über ihre Stirn, über ihre Augen. Er roch ihre Haut, und er war ihr verfallen.
    Sie schwiegen lange.
    »Wer bist du?« fragte Eva. »Wie viele Gesichter hast du? Warum willst du kaufen, was man dir schenkt?« Sie sah zu ihm auf. »Schämst du dich, wenn du menschlich wirst?«
    »Am Ende eines Tages …«, wich Martin den Fragen aus.
    »… am Anfang«, antwortete Eva. Sie schmiegte ihren Kopf in seine Hand, drehte sie um und küßte sie.
    »Laß das«, sagte Martin leise.
    »Warum?«
    »Die Hände eines Mannes müssen mitunter Schmutz berühren …«
    »Viel?«
    »Genug«, antwortete er.

XII
    Der Mann aus Übersee kam, sah und bangte; er trug einen grauen Mantel, hatte eine ausladende, hohe Stirn, helle, klare Augen und ein zerklüftetes Gesicht, durchfurcht von Gedanken. Felix Lessing trat, allen anderen Passagieren den Vortritt lassend, als letzter auf die Landetreppe und griff nach dem Geländer wie nach einem Halt.
    Frankfurts verlorener Sohn kehrte heimlich in seine Geburtsstadt zurück, obwohl die Universität ihm einen Lehrstuhl für moderne Geschichte angeboten hatte. Weder Susanne, seine Frau, noch Martin, der Freund, noch die Universitätskanzlei wußten, daß er heute in der Mainstadt eintreffen würde. Er kam schüchtern, hoffend und mißtrauisch, wie ein Mann zum ersten Stelldichein mit einer Frau, deren Vorzüge er nur aus einem Heiratsinserat kennt.
    Der Zollbeamte grüßte ihn freundlich, Felix merkte es nicht; sein Gepäck war längst abgefertigt, aber er zögerte noch immer, weiterzugehen, als wage er nicht, sich des neutralen Schutzes, den ihm der internationale Lufthafen bot, zu begeben.
    Endlich saß er im Taxi, sah durch das Fenster, suchte Häuserfronten mit den Leprafassaden des Krieges, aber er begegnete nur riesigen Baustellen oder modernen Gebäuden, wie sie auch in Amerika stehen konnten. Dieses vierte Frankfurt, das er nunmehr kennenlernen sollte, schien ihm beim ersten Anblick auch das fremdeste zu sein, obwohl es einem Gast aus Amerika am nächsten stehen müßte.
    »Können wir einen Umweg über die Bockenheimer Landstraße machen?« fragte Felix.
    »Um diese Zeit?« erwiderte der Fahrer.
    Felix hatte sich auf die Begegnung mit Deutschland vorbereitet wie ein Student auf sein Examen. Er wußte, daß sich sieben Jahre, die er seinem Geburtsland ausgewichen war, an ihm rächen müßten; aber er sagte sich, daß ein Mann von Zweiundvierzig nicht hilflos in dem Häusermeer umherirren dürfe wie ein kleines Kind, das sich verlaufen hat.
    Viele Besucher, die aus der Alten Welt kamen, hatten drüben die Bundesrepublik als ein Land unbegrenzter Tüchtigkeit, andere als fauligen Tümpel der Restauration geschildert.
    Martin, dem Felix am meisten traute, hatte sich in langen Nachtgesprächen am New Yorker Kamin als harter Kritiker erwiesen; aber Felix wußte auch, daß sich bei seinem Freund mitunter politische und persönliche Gründe verwoben, und so wollte er unerkannt und unangemeldet in sein Geburtsland heimkehren, um die Deutschen und sich selbst zu prüfen, ob und wie sie künftig wohl miteinander auskommen könnten.
    »Sie kennen Frankfurt?« fragte der Fahrer.
    »Ja.«
    »Amerikaner?«
    »Ja.«
    Der Mann am Steuer griff nach einem Zigarettenpäckchen in seinem Handschuhkasten und bot seinem Fahrgast über die Schulter eine Zigarette an. Es war eine stolze, plumpe Geste, die Felix in den nächsten Tagen wiederholt auffallen sollte.
    »Früher haben wir Kippen geraucht«, erklärte er lachend, »die ihr Amerikaner uns vor die Füße geworfen habt.«
    »Hätten wir sie euch in die Hand drücken sollen?«
    Der Mann lachte wieder. »Nichts für ungut, Mister, war ja auch nicht so gemeint.« Er nickte ein paarmal, winkte einem Verkehrspolizisten, drehte sich dann wieder nach seinem Fahrgast um. »Sie sprechen aber sehr gut deutsch.«
    »Ja.«
    »Sind wohl hier aufgewachsen?«
    »Ja«, erwiderte Felix heftigeren Tons.
    »… und dann … sind Sie nach drüben gegangen?«
    »Ja.«
    Der Fahrer achtete nicht auf den gereizten Ton und fragte weiter: »In der Nazizeit … als Emigrant?«
    »Als Jude«, versetzte Felix schroff.
    Der Mann hob die Schultern und senkte sie wieder. Er schwieg betreten, und da er fürchtete, es könnte mißverstanden werden, brummte er: »Meinen Sie vielleicht, ich hab' was dagegen?«
    Sie bogen in die Bockenheimer Landstraße ein, in das Viertel, in dem Felix aufgewachsen war. Während der Wagen schwenkte, fürchtete der

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