Die wilden Jahre
bunter Hund.«
Der Wagen mußte wieder halten, und Felix las die Lettern über dem Portal: MARTIN-RITT-HAUS. Die Buchstaben standen wuchtig nebeneinander, eckig, drohend, wie eine angetretene, sauber ausgerichtete Militäreinheit.
»Dabei hat der Mann mit nichts angefangen«, tratschte der Mann weiter. »Heute hat er goldene Türklinken in seinen Wohnräumen, ein Schwimmbassin auf dem Dach seines Hochhauses, ein eigenes Flugzeug und …«
»Reicht schon«, wehrte Felix seine erste Begegnung mit der Ritt-Legende lachend ab.
Hunderte von Fahrzeugen stauten sich auf dem großen Platz. Aus der Gegenrichtung kam eine lange Militärkolonne. Der Polizist gab ihr die Vorfahrt; Lastautos der neuen Bundeswehr in grüngrauer Farbe und mit Ypsilon-Schild rollten an der geschwärzten Fassade des geborstenen Opernhauses vorbei, dessen Sims noch immer DEM WAHREN, SCHÖNEN, GUTEN geweiht war. Sicher, dachte Felix, mußte der Wiederaufbau dieser Ideale hinter dringenderen Bedürfnissen zurückstehen.
»Scheißbarras!« fluchte der Fahrer. »Wissen Sie, was das Y auf dem Kennzeichen bedeutet?« Er lachte im voraus über seine Antwort: »Das Ende von Germany.«
»Waren Sie Soldat?« fragte Felix.
»Und ob!« entgegnete der Mann und klopfte mit der flachen Hand auf seine Beinprothese, die dem Fahrgast bislang entgangen war. »Im Osten«, erklärte er. »Was meinen Sie, wie unsere Division bei Charkow den Iwan in die Pfanne gehauen hat.«
»Bei Berlin auch?« fragte Felix.
»Da war ich nicht mehr dabei«, antwortete der Fahrer, »aber bei Smolensk …«
Als das Taxi endlich die Hauptwache erreicht hatte, war der Mann am Steuer beim dritten Fronterlebnis eines Krieges, den er fortgesetzt verwünschte, obwohl er mit leuchtenden Augen und gerötetem Gesicht von ihm sprach.
Der Wagen hielt vor dem Hotel, und während Felix auf das Wechselgeld wartete, sagte der Fahrer: »War schon eine beschissene Zeit, aber sie hatte auch ihr Gutes …«
»Und Ihr Bein?« fragte der Besucher gereizt, »wächst es wieder nach?«
Der verwirrenden Begegnung mit einem nach Meinung des Ankömmlings typischen Bundesdeutschen folgte unverzüglich die nicht minder aufregende mit dem zweiten: während Felix an der Rezeption seinen Anmeldeschein ausfüllte, sprach ihn ein junger Bursche in einer speckigen Lederjacke an.
»Excuse me, please«, begann Guido Brenner und bat um ein Interview.
»No«, wies ihn Felix ab, »sorry.« Er ließ den Reporter stehen, der ihm eine schlechte Kopie aus dem Bilderbuch der US-Presse zu sein schien, und ging auf den Lift zu.
»Gilt Ihre Ablehnung auch für einen guten Bekannten des Herrn Ritt?« fragte Guido in deutscher Sprache.
»Sie?« Felix drehte sich überrascht zu seinem Verfolger um.
»Ja.«
»Woher?«
»Das ist nicht so schnell gesagt.«
»Dann sagen Sie es langsam«, erwiderte Felix.
Der Boy riß die Lifttür auf, und beide traten ein. Während der Aufzug sie nach oben brachte, gestand Guido: »Es ist schon lange her. Als Sie noch US-Offizier waren, wohnte Martin Ritt bei meinen Eltern. Damals war ich mit ihm gut befreundet, aber da war er auch noch ein kleiner Fisch …«
Sie erreichten das reservierte Appartement, und Felix versuchte nun, den vermeintlichen Bittsteller endgültig loszuwerden.
»Also, was wollen Sie?«
»Ein Interview für meine Kolumne.«
Während Felix überlegte, wie er solcher Aufdringlichkeit begegnen könnte, fuhr sein ungebetener Gast fort: »Sie sind mir schon am Rhein-Main-Flughafen aufgefallen, Ihre hilflose Überlegenheit. Sie möchten mit der Faust zuschlagen und lassen die Hand flach in der Tasche. Sie sind noch zu frisch hier, und Frankfurt liegt Ihnen wie Blei im Magen.«
»Setzen Sie sich«, antwortete Felix, der begriff, daß er den Reporter unterschätzt hatte.
»Waren Sie nicht – Verzeihung – vor ein paar Jahren ein Pressezar der Militärregierung?«
»Würden Sie sich freundlicher ausdrücken?«
»… mit dem Tageskurier als heimlichem Lieblingskind?«
»Lange her …«
»Da kann ich Ihnen mit einer Neuigkeit aufwarten«, sagte Guido, »Ihr Freund hat soeben eine maßgebliche Beteiligung an diesem Blatt erworben.«
»Martin?« fragte Felix überrascht. – »Ja.«
»Wie finden Sie diese Zeitung?« fragte der Mann aus New York, wiewohl er sie täglich las.
»Soweit ganz vernünftig«, räumte Guido ein. »Der Tageskurier zittert wenigstens nicht vor jedem braunen Wehrwirtschaftsführer.«
»Gibt es das in Deutschland noch?« fragte Felix
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