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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Schritt wurde er stärker, flirtete mit Evas Kleid, spielte mit ihr, formte ihren schönen, federnden, schwingenden Körper. Der Wind hatte hundert Hände, die nach der jungen Frau griffen; er ließ ihre Beine nach oben wachsen, machte sie überlang, bebräunte, aufreizende Beine, die auf hohen Absätzen über das Pflaster schritten. Beine, die Rom gefielen.
    Eva schritt sicher durch die Gasse männlicher Huldigung, fing die Blicke der Passanten auf, ohne sie herauszufordern. Augen verfolgten und belauerten sie, stahlen und raubten, versprachen und beschworen. Martin störten jetzt diese animalischen, fordernden, flehenden und feuchten Augen, weil er sie Männern zumaß, die wie er Evas Nähe als Feuer auf der Haut, als Hitze im Blut spüren mußten.
    Seine Hand griff derb nach Evas Arm, er zog sie hinter sich her, über die Straße, der Verkehr sperrte ihn ein, er stand vor Berninis Barcaccia.
    Er zog Eva weiter, auf die andere Seite, vorbei an Blumenständen, der Spanischen Treppe entgegen, auf deren Stufen Müßiggänger der Sonne Modell saßen: Kellner, die wie Grafen aussahen, neben Grafen, die wie Kellner wirkten, Studenten, Maler, Schuhputzer und Touristen. Sie unterbrachen ihre Gespräche, legten die Zeitung beiseite und starrten Evas Beine von unten an.
    Martin riß die junge Frau weiter, Stufe für Stufe, Schritt für Schritt, im Stakkato des Zorns, über die verdammte Treppe einer verdammten Stadt, mit ihren verdammten, verhurten, verkommenen Männern. Seine Lippen wurden böse und hart, und Eva, die sich bereits auf sein Gesicht verstand, wußte, daß sie eine Rivalin geschlagen hatte.
    Martin kletterte weiter, er stieg der Trinità-Basilika entgegen, aus deren sonnegebleichten Türmen die Glocken schlugen, wuchtige klare Klänge, die über die Treppe hallten, zwischen den Dächern schwebten und sich über den Hügeln der Stadt verloren.
    »Ich – ich kann nicht mehr«, sagte Eva außer Atem.
    »Ich mag es einfach nicht mehr«, sagte Martin.
    »Was?«
    »Daß dich diese Männer anstarren, als würden sie dich ausziehen.«
    »Das tun doch alle Männer.«
    »Alle?« fragte er barsch.
    »Du nicht?«
    »Ich auch«, erwiderte er heftig.
    »Na also …«
    Eine Stunde später lernte Eva ein völlig neues Ritt-Gesicht kennen. Sie waren auf dem Monte Pincio; Evas Kopf stand vor dem Scherenschnitt der Silhouette zwischen der glänzenden Kuppel des Petersdoms und dem vollen Rund der Engelsburg, umrahmt von Häusern, deren Fassaden im milden Licht der Abendsonne rötlich schimmerten, als freuten sie sich, römische Häuser zu sein.
    Sie sah dieses Gesicht, als er sich über sie beugte: das Glück der Minute hatte alle Linien und Kerben, Härten und Schärfen verwischt. Nun, da er es aufgegeben hatte, sich seiner Gefühle zu schämen, sah er aus wie ein verträumter Junge, dem das Leben noch alles schuldig ist.
    Seine Hände streichelten ihren Kopf, ihren Nacken, ihren Rücken. Er zog sie so fest an sich, daß es schmerzte, und sie spürten gleichzeitig die flutende, drängende, erregende Hitze. Evas Herz klopfte in seiner Hand, als er sie zum ersten Male küßte.
    »Ich«, sagte Martin mühsam, »ich mag dich …«
    Sie merkte, wie schwer ihm die Worte fielen.
    »Lange?« fragte sie.
    »Ja.«
    »Wie lange?«
    »Sehr lange.«
    »Nicht länger?«
    »Solange du willst«, antwortete er.
    »Sei vorsichtig.«
    »Warum?« fragte er. »Ich meine, was ich sage.«
    Sie fuhr ihm mit dem Finger über die Lippen und küßte ihn.
    »Du bist ja verliebt«, sagte sie, als spräche sie ganz beiläufig.
    Sie gingen weiter, zur Trinità zurück. Martin legte seine Hand in Evas Arm; sie lehnte sich leicht gegen seine Schultern, und so liefen sie mit einem Schritt, mit einem Puls … Ihre Sinne gehörten einander, bevor sich ihre Körper gefunden hatten.
    Oberhalb der Spanischen Treppe blieben sie stehen, und Martin sah keine Hundeaugen, keine Wolfsaugen, keine Brunftaugen mehr, sondern hübsche, adrette Römer, mit guten Gesichtern und dunklen Haaren, Südländer, die einer schönen Frau zu huldigen verstehen.
    Sie wohnten in einem kleinen Hotel garni, unweit von hier, in der obersten Etage, die sie ganz allein für sich hatten. Der Attico war von Efeu umrankt. Sie schwebten wie in einer Loge über Rom. Erste Dunkelheit wickelte sich wie eine große Stola um die Schultern der Stadt.
    Sie standen nebeneinander. Martin nahm Evas Arme und drückte sie behutsam nach hinten. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Seine Lippen wanderten

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