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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Abteilung der Mayo-Klinik –, damals war ja alles gut und recht. Aber inzwischen sind wir doch weiter …
    Felix lächelte wie über einen braven alten Hausarzt, der noch die bewährten Rezepte seiner Jugend ausschreibt, da er die modernen Präparate nicht kennt: Hauptsache, überlegte er, es hat geholfen.
    Und wie! Nun bin ich hier, ein leicht verwirrter, fast zufriedener Heimkehrer, Vater zweier Söhne, die nicht mehr heimatlos sind, Mann einer schönen Frau, die mit mir zufrieden ist, und bald auch Dozent einer Universität – ein Mensch ohne Komplexe, ohne Durst, ohne Trauma, ohne Vergangenheit, ein Mann von Zukunft.
    Eine Situation, wie sie Felix seit Jahren gefürchtet hatte, ereignete sich an der Schenke einer Äppelwoikneipe in Sachsenhausen und wurde von Guido Brenner auf der Stelle gelöst.
    Aus dem Sprechdunst der Vielen hatten sich die Worte eines Einzelnen geschält, eines rotgesichtigen Menschen, der die Bedeutungslosigkeit wie einen verschlissenen Anzug trug: »Ich will ja nichts mit Politik zu tun haben«, rief er und steigerte, da keiner zuhörte, noch seine Stimme: »Aber der Führer war gar nicht so übel …«
    Am Nebentisch lachte eine Zechrunde – über andere Worte.
    »… nur etwas hat er uns angetan«, fuhr das Rotgesicht fort, »daß er diese verdammten Juden nicht alle …«
    Guido drehte sich um, betrachtete den Mann wortlos, nahm sein Glas und schüttete es ihm ins Gesicht. Der Begossene wollte sich auf ihn stürzen, wurde aber von Guido gepackt, zur Tür geschleift und mit einem herzhaften Tritt hinausbefördert.
    »Sie haben mir eine Arbeit abgenommen«, sagt der Wirt und schob Guido ein gefülltes Glas zu. »Auf Rechnung des Hauses.«
    »Selbsthilfe«, wandte sich der Reporter fröhlich an Felix. »Immer diese Alten. Wissen Sie, in Deutschland gibt es nur zwei Parteien: die Alten und die Jungen.« – »Eine kühne Theorie.«
    »Die Alten haben die Schuld«, fuhr Guido fort, »und die Jungen tragen sie. Viele Alte schwelgen noch in braunen Erinnerungen, aber die meisten Jungen wissen kaum, was Braunhemden sind.«
    »Langsam«, unterbrach ihn Felix, »was meinen Sie: jung-alt oder schwarz-weiß?« Er sah, wie der Reporter wieder nach seinem Glas griff. »Was sind Sie nun eigentlich«, fragte er Guido, »verbittert oder betrunken?«
    »Vielleicht beides«, antwortete Guido, »und schuld an den Schwierigkeiten, die wir hier haben, seid ihr Amerikaner.«
    »Das ist noch kühner«, entgegnete Felix.
    »Ja – wegen der Russen. Ihr braucht ein Bollwerk, also steckt ihr Westdeutschland in den Kängurubeutel der Wirtschaftshilfe. Amerika braucht Bundesgenossen, also schuf man die Bundeswehr. Wo es aber Soldaten gibt, braucht man Generäle, also holte man sie. Auf was verzichten die USA leichter: auf einen westdeutschen Wehrbeitrag oder auf Hitlers Generäle?«
    »Überspitzt«, erwiderte Felix, »zudem auch Sache der deutschen Innenpolitik, sie beim Aufbau der neuen Armee auszuschalten.«
    »Wissen Sie, wer die deutsche Politik macht?« unterbrach ihn Guido gereizt. »Im Westen Amerikaner, im Osten Rußland. Sollte im Osten einer für den Westen sein, kommt er ins Zuchthaus; würde hier einer vorlaut für die Verständigung mit dem Osten eintreten, fielen diese ganzen Kreuzzugsschwätzer über ihn her …«
    »Auf diesen kleinen Unterschied«, sagte Felix lachend, »sollten Sie einen Schluck nehmen.«
    »Aber nicht mit Orangensaft«, erwiderte Guido und schob dem Mann aus New York in trunkener Verbrüderung sein Glas zu.
    Wieder roch Felix daran; er nahm einen Schluck, einen größeren jetzt, leerte das Glas, spürte sofort, daß ihm der Whisky schmeckte, seinen Verstand schärfte, seinen Blick klar machte, die Stunde froh.
    »Auf einem Bein steht man nicht«, sagte der Kellner und reichte Felix ein zweites Glas.
    Als Felix den Whisky ausgetrunken hatte, saß er in der Achterbahn dieser Stadt, angeschnallt und sturzsicher, mit genußvollem Schauer im Rücken, stürzte hinab, ging in die Kurve und wurde wieder hinausgeschleudert, trieb durch die Verbrecherlokale in der Allerheiligengasse, durch die Negerkneipen des Bahnhofsviertels, durch die Grünanlagen, durch die nächtliche City, links herum, rechts herum, bei greller Musik, bei girrendem Lachen – zufrieden mit sich, mit Guido, mit der Stunde, seinem Leben …
    Guido brachte ihn ins Hotel zurück, obwohl Felix den Whisky gut vertrug. Sie verabschiedeten sich, und keiner achtete auf den Mann mit dem Birnenkopf, der aus der

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