Die wilden Jahre
entgegnete Drumbach ruhigen Tons und fuhr fort: »Es handelt sich also um Gelder, die von einem Tag auf den anderen fällig, stets greifbar sein müssen. Ich setze voraus, daß Sie mich verstanden haben.«
Sein Blick überflog die Aktionäre; ohne den Interpellanten anzusehen, setzte er hinzu: »Und nun können Sie Ihre Frage stellen, junger Mann.«
»Wo sind die Gelder verwahrt?« fragte Guido.
»Wo sie hingehören«, antwortete Drumbach.
»Bei einer Bank?«
»Bei drei verschiedenen«, versetzte der Präsident.
»Gut«, entgegnete Brenner, »nun habe ich eine dumme Frage: Zahlen diese Banken eigentlich weniger Zinsen als andere?«
»Würden Sie Ihre Frage – bitte – so formulieren, daß wir sie alle verstehen können?«
»… oder entwickelt unsere Konkurrenz mehr Phantasie bei der Verwendung von Tagesgeldern?«
»Sagen Sie doch, was Sie meinen.«
»Gibt es auch andere Möglichkeiten, kurzfristige Beträge anzulegen?«
»Keine seriösen«, erwiderte Drumbach.
»Dann muß ich also annehmen, daß viele andere Versicherungsgesellschaften unseriöse Methoden anwenden?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Ich spreche von Finanzmaklern, die doppelt so viele Zinsen bieten wie die Banken.«
»Nebst Unsicherheit.«
»Ich habe mir die Bilanzen anderer Firmen angesehen«, erwiderte Guido und begann, Zahlen und Summen zu verlesen und mit Millionen um sich zu werfen wie Konfetti.
»Woher stammen diese Zahlen?« fragte der Präsident.
»Ich habe Sie mir besorgt.«
»Bei einem Finanzmakler?«
»Ja.«
»Namens?«
»Ritt.«
»Was haben Sie mit Ritt zu tun?« stieß Drumbach zu.
»Nichts«, antwortete Guido.
»Das werden Sie beweisen müssen.«
»Ihnen nicht, Herr Präsident«, erwiderte der Junge. Mit einem breiten unverschämten Lächeln wandte er sich seinen Anhängern im Saal zu. »Ich besitze nur zwei Aktien«, erklärte er, »ich habe sie geerbt. Ich habe mit der erwähnten Firma nichts zu tun und bin auf diese Dinge nur gestoßen, weil ich mich dafür interessiere, was mit meinem Geld geschieht, und das«, sprach er den Präsidenten wieder direkt an, »dürfte mein Recht sein.«
»Lieber junger Freund«, versetzte Drumbach, »wollen Sie damit sagen, daß wir Ihnen etwa dieses Recht nehmen möchten?«
Der Beifall war stark, aber er kam aus ungleichen Lagern und galt so beiden Kontrahenten.
»Unglaublich«, knurrte Dr. Schlemmer bei der morgendlichen Zeitungslektüre, umgeben von seiner Familie. »Langsam wird mir dieser Mann unheimlich.« Er warf die Zeitung auf den Tisch, nahm sie jedoch gleich wieder zur Hand, als müsse er sich so überzeugen, richtig gelesen zu haben – obwohl er bereits gestern abend in Köln unterrichtet worden war. »Entweder sind Ritts Gegenspieler Idioten«, fuhr er fort, Bettinas Blick mißachtend, der ihn vor Petra warnen sollte, »oder dieser Kerl ist ein Genie.«
»Das sagst du, Heinrich?« fragte Bettina.
»Warum nicht?« entgegnete Schlemmer. »Ich bin Partei-Gegenpartei. Aber wenn Ritt tüchtiger ist als seine Gegner, dann …«
»Bitte mäßige dich«, erwiderte Bettina sanft, »und sprich nicht so vor dem Kind.«
»Ich bin kein Kind«, versetzte Petra.
»Sondern?« fragte die Mutter lächelnd.
»Ein ungezogener Balg«, sagte Dr. Schlemmer.
»Von mir aus auch ein ungezogener Balg«, antwortete Petra schnippisch, schnitt ein Gesicht, als wollte sie gleich das Zimmer verlassen, blieb aber, bezwungen von der Neugierde, am Tisch und wartete mit schlecht verhohlener Ungeduld darauf, daß die Zeitung frei würde.
»Bitte«, sagte der Stiefvater, »mir reichen die Neuigkeiten.« Er gab Petra das Blatt mit der aufgeschlagenen Seite.
»Nach dem Frühstück«, bat Bettina.
»Gleich, Mutti«, erwiderte das Kind, suchte den Artikel und stellte enttäuscht fest, daß er im Wirtschaftsteil der Zeitung stand.
Unter der unauffälligen Schlagzeile: GEGLÄTTETE ABCHAUPTVERSAMMLUNG stand, daß einige Kleinaktionäre die Geschäftsleitung aufgefordert hatten, künftig bei der Verwendung täglich fälliger Gelder auch den bekannten Finanzmakler Ritt, dessen Rotations-Methode seit langem von den Banken kritisch beobachtet werde, zu konsultieren. Diesem Vorschlag habe der wiedergewählte Vorsitzende des Aufsichtsrats, Präsident Drumbach, wohlwollende Prüfung zugesichert, worauf die Versammlung in einträchtiger Harmonie auseinandergegangen sei.
Petra verstand nicht, um wen es in dem Artikel ging, aber sie begriff erneut, daß seit einiger Zeit im Hause
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