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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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verabschiedete sie sich, und Martin – gewohnt, daß sich Maman früh zurückzog – geleitete sie zu ihrem Schlafzimmer.
    »Madame Rignier gefällt mir heute besser«, sagte Dr. Schiele.
    »Besser als wann?« fragte Martin rasch.
    »Als unlängst. Ich fand sie sehr blaß und abgespannt und überlegte schon, ob ich es Ihnen sagen sollte, aber Sie haben wohl genug andere Sorgen.«
    »Mensch, Schiele«, entgegnete Martin, »nichts ist für mich wichtiger. Vergleichen Sie doch nicht Maman mit anderen Dingen …«
    »Gut«, erwiderte der Jurist, »aber sprechen wir jetzt davon.«
    Sie saßen einander gegenüber in der befreundeten Feindseligkeit, die sich andere nicht zu erklären vermochten. Oft war von ihnen im Lauf der Jahre der Anlass vergessen worden, der sie einst zusammengeführt hatte, doch nie trauten sie sich ganz, obwohl sie aufeinander angewiesen waren. Die tägliche Konzession hatte lange an der verjährten Aversion genagt; aus Feinden von gestern waren Partner von heute geworden, die – stets miteinander ringend – sich auch beeinflussten: so war der eine nicht mehr so penibel und der andere nicht mehr so spontan.
    »Ich habe mit Drumbach zu Mittag gegessen«, berichtete Schiele.
    »Mahlzeit!«
    »Danke. Er speiste Grünzeug und machte mir – Möglichkeiten schmackhaft.«
    »Persönliche.«
    »Allerdings.«
    »Warum haben Sie sich nicht von ihm abwerben lassen, Schiele?« fragte Martin grob.
    »Ritt«, erwiderte der Jurist, »wer sagt Ihnen denn, daß es nicht so war?«
    Sie musterten einander mit grämlicher Hochachtung, gereizt, wenn auch geeint durch Schwierigkeiten.
    »Seien Sie doch nicht so humorlos, Schiele.«
    »Wichtiger ist, daß Sie Ihren Galgenhumor behalten«, entgegnete der Jurist bärbeißig. »Nun lassen Sie mir bitte ein Mineralwasser bringen und uns zu unserem Dilemma kommen!«
    »Sie kennen ja den Stand der Verhandlungen in London«, begann Martin, »recht aussichtsreich – wirklich, ohne falschen Optimismus.« Er sah, daß sein Vertreter starren Gesichts schwieg. »Wenn Sie allerdings damit rechnen, daß ich mit vollen Taschen gekommen bin, dann war London ein Fehlschlag – wie New York.«
    »Endgültig?«
    »Vorläufig. Wir können mit den Leuten weitersprechen. Es kostet nur Zeit …«
    »… die bei uns bald noch knapper sein wird als die Barreserven.«
    »Leider«, erwiderte Martin. Er sah, wie Schiele lustlos an seinem Mineralwasser nippte. »Wollen Sie den ganzen Abend bei diesem Getränk bleiben?«
    »Ich muß.«
    »Stört es Sie, wenn ich etwas Anständiges trinke?«
    »Ja«, antwortete Schiele, »aber wie ich Sie kenne, kümmert Sie das nicht.«
    Martin richtete sich einen Whisky on the rocks und fragte, ohne besonderes Interesse zu bekunden, wie lange der Ausschuss voraussichtlich noch brauche, um seiner Rotation den Garaus zu machen.
    »Mindestens ein Jahr«, antwortete der Jurist, »höchstens zwei.«
    »Keine Möglichkeit eines Aufschubs bis zur nächsten Wahl?«
    »Ausgeschlossen!« Schiele stellte das Glas heftig ab. »Und wer sagt Ihnen denn, daß sich die Mehrheit im nächsten Bundestag ändern wird?«
    »Seit wann so politisch, Schiele?«
    »Wir könnten allenfalls Sand ins Getriebe des Ausschusses streuen«, fuhr der Jurist fort, »sehr wenige, sehr feine und sehr teure Körnchen.«
    »Ich bin nicht geizig.«
    »Es kostet ein Vermögen, bringt wenig und führt, sofern es bekannt wird, zu einem Skandal.«
    »Trotzdem schlagen Sie es vor?«
    »… – gebe ich es zu bedenken«, verbesserte ihn Schiele, »und weise darauf hin, daß dieser Weg umständlich und kaum nützlich ist. Allerdings würden wir wenigstens erfahren, was in diesem verdammten Klub vor sich geht.«
    »Worauf ich größten Wert lege.«
    »Außerdem«, rügte Schiele seinen eigenen Vorschlag, »wäre ein solches Unterfangen keineswegs ungefährlich.«
    »Bestechung?«
    »Ja und nein«, wich der Jurist aus. Martin wußte, was er meinte: unauffällige Querschüsse, wie Vernehmung weiterer Gutachter, Vorladung neuer Sachverständiger, Einholung statistischer Unterlagen könnten dafür sorgen, daß die Vorlage des neuen Gesetzes den Plenarsaal nicht ganz so rasch erreichen würde, wie es die Hintermänner Schlemmer und Drumbach wünschten.
    »Keine Abgeordneten würden Geld erhalten – eine sehr beträchtliche Summe natürlich –, sondern ihre Partei, für den Wahlfonds, ohne Quittung, ohne Sicherheit, ohne Beweis, ohne …«
    »Wer eigentlich?« unterbrach ihn Ritt.
    Schiele nannte

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