Die wilden Jahre
eine kleine Minderheitsfraktion, die – nicht Fleisch, nicht Fisch – von Gnaden der Regierungspartei vegetierte, aber angeblich bestrebt war, ein Eigenleben zu wahren.
»Abgelehnt«, antwortete Martin.
»Sie werden immer vernünftiger, Ritt.«
»Unsinn«, versetzte der Hausherr, »nur kann ich diese Leute überhaupt nicht ausstehen.« Er mischte sich einen weiteren Whisky.
Sein Gast sah ihm mißmutig zu und sagte gereizt: »Geben Sie mir auch etwas Anständiges …«
Martin entnahm einem dunklen Renaissanceschrank ein feingeschliffenes langstieliges Ballonglas und ließ für seinen Gast eine der verstaubten Raritäten kommen, die er von einem burgundischen Weingut bezog. Schiele wunderte sich, wie ein Mann, der Whisky trank, sich auf so etwas verstehen konnte; die beiden hatten eben erst begonnen, zögernd miteinander auch privat zu verkehren.
»Ist das schlimm, mit Ihrer Galle?« fragte der Finanzmakler.
»Schmerzhaft«, antwortete Schiele, »hinterher.«
»Wollen Sie nicht einmal Professor Sturm konsultieren?«
»Habe ich bereits«, antwortete Schiele. »Ich brauche weniger einen Arzt als Vernunft.«
»Halten Sie Sturm für einen guten Internisten?«
»Sicher, fraglos eine Kapazität von internationalem Rang.«
»Das beruhigt mich«, sagte Martin, »denn meine Mutter läßt keinen anderen Arzt an sich heran.«
Schiele wärmte den Kelch in der Hand und bewunderte das volle Rot, ein andächtiger Sünder. »Ritt«, sagte er, »ich nehme Ihnen vieles übel, aber daß Sie Schnaps trinken, wenn Sie eine solche Köstlichkeit im Hause haben, das ist doch unverzeihlich!«
»D'accord«, erwiderte Martin, »aber ich hatte im Flugzeug schon mit Whisky begonnen, leider.« Er lachte spöttisch.
»Sie waren schon immer durstig«, entgegnete Schiele, »nun zeigen Sie mir schon Ihren Trumpf, Sie Zauberer.«
»Welchen?«
»Seien Sie nicht kindisch, Ritt. Ein Mann wie Sie sieht doch nicht mit der Hand in der Tasche zu, wie die Übermacht zum Halali bläst.« Er betrachtete Martin, der melancholisch lächelte wie ein Mann, der unverdiente Schmeichelei genießt. »Sie brechen Verhandlungen ab, wenn Ihnen das Wasser bis zum Hals steht?« Er hob sein Glas, mit den Augen trinkend. »Ritt, Sie würden jede Bedingung eingehen, Sie würden sich mit dem Teufel verbünden, wenn es gegen Schlemmer und Drumbach geht. Also …«
»… werde ich Sie nun in meine geheime Giftküche einführen müssen«, erwiderte Martin lachend. »Doch zuvor eine Frage, Schiele: wie stehen wir eigentlich miteinander?«
»Wissen Sie es?« konterte Schiele.
»Nach Ihnen …«, fing ihn Martin ab, und in verjährte Gehässigkeit zurückfallend, fragte er: »Würden Sie mich eigentlich noch einmal zum Tode verurteilen?«
»Sicher nicht«, antwortete der ehemalige Kriegsrichter frei von Zorn.
»Humanitär – heute?«
»Wenn nicht aus purer Menschlichkeit«, versetzte Dr. Schiele, »dann aus purer Neugier. Ich verdanke Ihnen viel, Ritt. Ich spreche jetzt nicht nur von dem Zehntel, mit dem ich an Ihrer Firma beteiligt bin, ich meine die Kurzweil vieler Jahre. Sie sind ein interessanter Bursche, Ritt. Sie sind ein genialer Narr, und Sie sind das sympathischste Ekel, das ich kenne.«
»Deshalb halten Sie mir die Treue?« spottete Martin. »Wie lange noch?« – »Kann ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte der Jurist, »es hängt auch davon ab, wie Sie diesmal Ihren Kopf aus der Schlinge ziehen. Zumindest so lange möchte ich noch an Ihrer Seite ausharren.« Er genoß den Hohn wie den Rotwein. »Ich riskiere ja wenig. Ich könnte morgen bei Drumbach unterkommen.«
»Gut«, fuhr der Gastgeber fort, »lassen wir die Causerien. Es wird ernst, Schiele. Sie vermuten richtig, ich habe etwas vor, aber diesmal gestehe ich Ihnen, daß mir nicht ganz wohl ist. Wir müssen aufs Hochseil.«
»Das Neueste«, brummte Schiele trocken.
Martin begann, seinen Trapezakt zu erklären. Wie in Köln wolle er Drumbach noch ein paar kleine Scharmützel liefern, Scheingefechte nur, um nicht durch Verzicht auf Gegenwehr Argwohn aufkommen zu lassen; dadurch wolle er von dem letzen Coup ablenken, der nur dann gelingen könne, wenn man die Gegenseite überrumple. »Diesmal«, gestand Martin, »bin ich Ihrer Mithilfe wirklich ausgeliefert.«
»Seit wann so redselig, Ritt?« fragte der Jurist.
»Ich gehe davon aus«, fuhr Martin fort, »daß es besser ist, sagen wir, die Hälfte der Firma zu behalten – als alles zu verlieren.«
»Recht logisch.«
»Deshalb werde
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