Die wilden Jahre
könnten. Er griff nach seinem Rezeptblock, schrieb den Namen eines Bekannten nieder, der praktischer Arzt in St. Moritz sei und sich um sie kümmern würde.
»Seit wann überlassen Sie ihre Patienten anderen Ärzten?« fragte Martin überrascht.
»Soll ich jeden Tag in das Engadin fahren?« knurrte der Professor.
Er gab sich aufgebracht, schien aber eher verlegen zu sein, was Martin sich nicht erklären konnte, aber nützen wollte. Umständlich setzte er an: »Ich weiß, daß Wissenschaftler eitel sind und Ärzte ganz besonders, Professoren noch mehr, und vor allem Kapazitäten wie Sie.«
»Was soll das lange Gerede?«
»Ich möchte Sie bitten …«
»Ihre Mutter von einem anderen Spezialisten untersuchen zu lassen?« unterbrach ihn der Professor.
»Nicht, daß ich Ihre Fähigkeiten anzweifle, aber …«
»Einverstanden«, unterbrach ihn der Arzt grimmig.
Martin war verblüfft, daß der berühmte Internist so rasch nachgab, eher erleichtert als beleidigt.
»Allerdings«, setzte Professor Sturm hinzu, »sollten Sie diese Zustimmung nicht von mir, sondern von Ihrer Mutter erwirken.«
»Nicht ich.«
»Sie wollen mich vorspannen? Wissen Sie überhaupt, was Sie von mir verlangen?«
»Ich verlange nichts, Professor, ich bitte Sie darum, herzlich …«
Einen Moment lang musterten sie sich wie Kampfhähne, dann sagte der Arzt unvermittelt:
»Vielleicht ist Ihr Gedanke gar nicht so …« Er nickte Martin zu. »Ich will es versuchen«, versprach er und ging in das Zimmer seiner Patientin.
Martin rief den Flugplatz an, erfuhr, daß das Wetter günstig sei, und gab Weisung, seine Bonanza aufzutanken. Er ließ sich in Samedan avisieren und überlegte, ob er sich auch bei Petra anmelden solle. Er ließ es sein, da er es für besser hielt, das Kind zu überraschen.
Er nahm an, daß Petras freiwillige Verbannung auf eine geschickte Intrige Bettinas zurückzuführen sei. Während seiner langen Abwesenheit mußte seine geschiedene Frau bei dem heimlichen Tauziehen um die Tochter verlorenen Boden zurückgewonnen haben. Es machte ihm wenig Sorgen; bei Gelegenheit würde er das Tau kappen; Petra, die ihm so ähnlich war, würde immer an seine Seite treten.
Martin stellte fest, daß der Arzt noch bei Maman war. Er hörte eine Unterhaltung, die erregt klang, obwohl sie halblaut geführt wurde; Maman wird sich heftig gegen einen anderen Arzt wehren, überlegte er und sicher dabei unterliegen. Er wußte, daß er mit Hilfe Petras bei ihr alles erreichen konnte; er hatte immer wenig Bedenken, Menschen als Waffe zu verwenden, zumal für gute Zwecke.
Martin wollte das Ergebnis der Intervention abwarten; aber Guido erschien, von Schiele, der keine Zeit versäumte, bereits instruiert und umsichtig in die Privatwohnung beordert, ließ er den illustren Hausarzt entkommen.
»Gratuliere zu dem Debüt von Köln!« begrüßte Martin den schlaksigen Jungen, der stolz auf die bewiesene Unverschämtheit war, legte die Hand um seinen Nacken und zog ihn in sein Arbeitszimmer. »Aber künftig wollen wir viel feiner sein. Die Lederjackenzeit ist vorbei, und nun wirst du auch geistig aus diesem speckigen Monstrum …«
»Es war ein Spaß!« erwiderte Guido.
»Wir werden noch viel Vergnügen haben«, versicherte Martin und bemerkte belustigt, wie sich der Reporter neugierig umsah, ein wenig hilflos zwischen alten Möbeln und seltenen Gobelins. Martin mochte Guidos respektlose Tüchtigkeit, seine schroffe Zeitkritik, seine rasche Intelligenz. Er begegnete ihm ohne Vorbehalt; in ihm einen zeitgemäßen frühen Ritt sehend, war er längst entschlossen, aus dem Jungen mehr zu machen als den Handlanger hinterhältiger Anschläge. Martin fragte, wie es Guidos Eltern gehe, und lud ihn zum Frühstück ein; Guido spürte, wie er wieder in das magische Kraftfeld seiner Persönlichkeit geriet, angezogen, festgehalten und fasziniert wurde. Die Ergebenheit spiegelte sich in seinem Gesicht, das noch nichts verbergen konnte.
»Ich kenne deinen Ehrgeiz«, sagte Martin, »ich weiß, daß du mit guten Reportagen in einer großen Tageszeitung herauskommen möchtest. Stimmt's!«
»Ja, woher wissen Sie …?«
»Was hältst du vom Tageskurier?«
»Viel«, antwortete Guido gespannt.
»Ich habe mit dem Verlag gesprochen; man wird dir eine Chance geben. Die Feature-Redaktion wird vakant. Du sollst dich einarbeiten und könntest – wenn man mit dir zufrieden ist – die Reportageabteilung übernehmen.«
»Aber ich möchte selber schreiben.«
»Das
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