Die wilden Jahre
hübscher Mädchen aus allen westlichen Ländern Europas und sogar aus Übersee bevölkerte; die Grundsätze des Hauses waren liberal, seine Ordnung tolerant, sein Anstrich international und das Schulgeld horrend.
Petra merkte schon in den ersten Tagen, daß ihr statt eines strengen Heimzwangs ein zwangloses Zusammensein mit künftigen Freundinnen beschieden sein würde; überwältigt von frischen Eindrücken und begeistert von neuen Menschen, sah sie schon nach wenigen Tagen in ihrem spontanen Umzug keinen freiwilligen Opfergang mehr, um ein familiäres Debakel abzuwenden.
Als Martin auf das Internat zufuhr, in einem kleinen Wagen, der am Flugplatz für ihn immer bereitstand, machte er sich auf ein Gefecht mit der Direktion gefaßt, da er im Umgang mit Lehrern unkundiger war als mit ihren Zöglingen, wenigstens der oberen Klassen. Auf dem freistehenden Haus wehte die Fahne des Landes, das weiße Kreuz auf dem roten Tuch zeigte nach Süden und versprach somit auch weiterhin schönes Wetter.
Schon im Vorzimmer wurde Martin wohltuend von unpersönlicher Höflichkeit empfangen. Der Direktor begrüßte ihn mit unterkühlter Wärme, ohne Fragen zu stellen.
»Petra Schlemmer ist meine Tochter«, erklärte der Besucher.
»Ja, ich weiß«, antwortete der Pensionatsleiter, offensichtlich von Bettina instruiert. »Mein Kompliment, Monsieur«, mied er in bewährter Routine die Gefahr, den echten Vater mit dem Namen des vermeintlichen anzusprechen. »Ihre Tochter ist hübsch und klug, eine unserer Jüngsten – mit einer erstaunlich guten Aussprache des Französischen.«
Der Schulmann benahm sich wie ein Weltmann, vertraut mit peinlichen Situationen, da viele Zöglinge seines Hauses aus zerbrochenen Ehen stammten, und Martin merkte, daß er mit dem Direktor offen sprechen konnte. Er hätte nichts gegen dieses Haus, begann er, obwohl man seine Tochter, ohne ihn zu fragen, hierher gebracht habe, womit er sich nachträglich einverstanden erkläre, falls die Direktion zur Kenntnis nehme, daß Petra neben ihrer Mutter auch einen Vater habe.
»Selbstverständlich, Monsieur«, antwortete der Direktor und ging zu Fragen nach der Reise über; als er erfuhr, daß Martin mit der ›Bonanza‹ gekommen war, stellte sich der Pädagoge als Flugenthusiast heraus, und die Einladung zu einem Rundflug besiegelte schließlich das stumme Versprechen zweier Männer, fortan ihre Interessen gegeneinander aufzuwiegen.
Petra kam, und Martin begrüßte sie so unbefangen, als habe er sie erst gestern gesehen. Der Direktor gewährte drei Tage Ferien, wünschte viel Vergnügen; die Urlauberin wollte ihren Koffer packen, aber Martin sagte lachend: »Lass schon!«
Petra, die gescheit genug war, zu wissen, daß ihr neue Garderobe winkte, verzichtete gern; dann sah sie auf Martins Wagen die Haltevorrichtung und wollte wenigstens die Skier mitnehmen. Sie lief in den Abstellraum; er folgte ihr, nahm ihr die Holzskier aus der Hand, schnallte sie auf den Wagen, sich mehr wie ein ritterlicher Freund als wie ein gestrenger Vater benehmend, während Petra mit Genugtuung bemerkte, daß einige ihrer neuen Freundinnen vom Fenster aus die Abfahrt beobachteten, wobei sie bereits überlegte, wie sie Martin dazu bringen könnte, das nächste Mal mit dem Maserati zu kommen.
Sie hatten die Bobbahn erreicht und rollten die Windungen nach St. Moritz hoch. »Fährst du immer noch Holzskier?« fragte Martin. »Ich schenke dir Metallskier.«
»Hältst du sie für besser?« fragte Petra.
»Für sicherer«, entgegnete er.
»Verstehst du denn etwas davon?«
»Bin ich vielleicht schon zu alt dafür?«
»Nein«, antwortete Petra tückisch, »hier gibt es viel sportliche Herren in älteren Jahren.«
»Du wirst sie schon noch schätzen lernen«, erwiderte Martin mit launigem Ingrimm.
Petra merkte, daß er den Ausbruch zorniger Fragen aufgeschoben hatte, und wollte sie auslösen, um die Unannehmlichkeiten hinter sich zu bringen, bevor Martin durch Madame Verstärkung erhielt. »Nun fang schon an!« sagte sie.
»Womit?«
»Mit den Vorwürfen.«
»Weshalb?«
»Daß ich aus Frankfurt ausgerückt bin.«
»Warum?« fragte Martin gleichgültig. »Du bist eine moderne Tochter und ich dein zeitgemäßer Vater. Jeder tut, was er will. Natürlich nur im Rahmen des Erlaubten.« Heiter kommentierte er: »Und erlaubt ist, was gefällt.«
Sie stellten den Wagen ab, besuchten ein Sportgeschäft und eine Boutique; Petra wurde mit modischen Anoraks und bunten Lastexhosen beschenkt,
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