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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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entgegnen, und Bettina war nicht beleidigt darüber, nur verwundert; sie wollte nicht unbescheiden wirken, versuchte ihm jedoch nebenher beizubringen, daß ›Dr. Dr. Schlemmer ein wirklich ganz bekannter Wirtschaftsanwalt‹ sei und als ›einer der führenden Köpfe beim Wiederaufbau des neuen Deutschlands wohl eine tragende, vielleicht sogar eine bedeutende Rolle‹ spielen würde. Sie habe ihn geheiratet wegen Petra. Über das Kind müsse man später selbstverständlich auch noch sprechen, wenn die erste Aufregung vorbei sei. Nach ihrer Rückkehr wolle sie einen politischen Salon in Frankfurt gründen, und er sei natürlich eingeladen – es müsse sich ein Modus finden lassen, zur Vergangenheit zu stehen und doch die Gegenwart zu respektieren.
    Bettina führte Martin auf einen harten alten Mann zu, der wie verloren abseits stand. Als sie näher kamen, zuckten seine Lippen stumm. Es sah aus, als balgten sie sich.
    Bettina sagte, diplomatisch die merkwürdige Szene überspielend: »Darf ich euch miteinander bekannt machen?« Sie löste ihre Hand aus Martins Arm. »Das ist Martin, mein erster Mann, und das«, sie wies auf den Anwalt, »ist Heinrich, der zweite.«
    Sie lachten alle drei: Bettina zu hoch, Dr. Schlemmer fast lautlos und Martin, der zugeben mußte, daß seine geschiedene Frau eine schwierige Situation glänzend gemeistert hatte, erleichtert.
    Schlemmers mußten zu ihrer Gruppe zurück: es war ein Rückzug in die Beratung. Martin, der nicht wußte, was er der Begegnung mit seiner geschiedenen Frau abgewinnen sollte, war wieder allein.
    Er ging in die Portiersloge, erkundigte sich nach dem Eintreffen der Internierten aus Deutschland. Aber er erfuhr zum drittenmal, daß der Tag ihrer Ankunft ungewiß, ihr Eintreffen jedoch sicher sei.
    Er stieß auf Rothauch, dem er nicht länger ausweichen konnte.
    »Komm mit auf mein Zimmer«, sagte der ungeschätzte Mitschüler; halblaut fügte er hinzu: »Ich habe eine Flasche auf der Bude, Pflümli-Wasser, herrliches Zeug, mild wie der Beischlaf eines Kommandierenden Generals.«
    Sie gingen nach oben.
    »Prächtig hier, was?«
    »Ja«, antwortete Martin.
    Sie erreichten das Zimmer.
    »Die haben's vielleicht gut, diese Schweizer«, sagte Rothauch und suchte in seinem Koffer nach der Flasche, die in ein Hemd gerollt war.
    »Satte Pfeffersäcke mit dicken Autos.«
    Seine Lippen blähten sich. »Aber wenn du ihre fürchterlichen Steinpaläste siehst, kannst du nur sagen: Denen fehlt der Krieg, weiter nichts.«
    »Wie kommst du hierher?« fragte Martin.
    »Wie du – auf Spesen der Moral. Merkst du, wir steigen wieder im Kurs – weißt du, wie viele Studenten der Universität Heidelberg sich für Caux beworben haben? Über hundert – und zwölf haben Sie genommen, Kerle wie mich – und weißt du auch, warum? Du wirst staunen – weil ich bei der SS war, jawohl, deswegen –, solche Leute haben sie gesucht.«
    »Zur Belohnung?« fragte Martin.
    »Zur Besserung«, erwiderte Rothauch. »Du bist noch nicht sehr tief in die Materie der Moralischen Aufrüstung eingedrungen – Aufrüstung ist übrigens immer gut«, setzte er hinzu, »immer gibt es etwas zu bekämpfen, und immer sollte man bewaffnet sein …«
    Martin verdroß das Geschwätz.
    »Was sind denn die drei Kampfziele in Caux? Die drei großen K der MRA«, Rothauch gab sich selbst die Antwort, »Krieg, Korruption und Kommunismus. Der Krieg ist vorbei, Korruption haben wir in Deutschland nie geduldet, und gegen den Kommunismus haben wir gekämpft – wir liegen doch ganz richtig.«
    »Wer sind wir?«
    »Wir Deutsche.«
    »Du meinst: ihr Nazis.«
    »Das ist doch dasselbe, oder?«
    Martin hielt seine Hände gewaltsam fest, Hände, die auf Rothauch einschlagen wollten.
    »Du hast dich zu früh umgestellt«, sagte Rothauch wie ein gutmütiger Gönner, »verlaß dich darauf, wir gehen nicht unter. Wir haben den Krieg überlebt, wir werden auch diese lächerlichen Spruchkammern überstehen – und warte nur –, wenn Deutschland erst wieder ein Rechtsstaat ist, und diese Amerikaner endlich begreifen«, er beugte sich vor, »daß sie uns brauchen – sie sind doch keine Soldaten, stell sie dir in Rußland vor, mit ihren Bakelithelmen und ihrer laschen …« Er reichte Martin das Glas.
    »Auf unsere Zukunft!« sagte er.
    »Alkohol verstößt gegen die Hausordnung«, sagte Martin und schüttete Rothauch den Schnaps ins Gesicht.
    Der Abend war mild. Er duftete nach Rosen, nach Heu, nach Erde. Ein praller Mond

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