Die wilden Jahre
während Martin feststellte, daß der hübsche weibliche Oberleutnant aus Boston weder stocksteif noch hochnäsig war.
Sie blieben über Neujahr bei Felix in Garmisch; sie mochten einander und waren gern zusammen.
Zwei Tage vor Silvester mußte Dr. Snyder nach München zurück; der weibliche Oberleutnant reiste nach Mannheim ab und überließ Martin einer hübschen zierlichen Nurse.
Die Silvestergäste lärmten im Haus, deshalb zogen sich die Freunde in die Dependance des Hotels zurück, tranken – außer Felix – Punsch und gossen Blei.
Susannes Gebilde verunglückte und entzog sich der Deutung; Felix war an der Reihe. Er hielt seinen Bleistab über die Flamme, ließ die Tropfen ins Wasser fallen, sah zu, wie sie zu einem fingerdicken runden Etwas zusammenliefen. »Auch nichts.«
»Das sieht mir aber ganz nach einem Ehering aus«, sagte Martin.
Felix wurde ärgerlich.
»Damit du es weißt …«, er sprach, als schösse er die Worte ab, »ich werde Susanne heiraten, noch in diesem Jahr.«
»Gratuliere!« antwortete Martin. »Wenn du es nicht tun würdest«, er griff nach seinem Punschglas, »dann hätte ich um Susanne angehalten.«
»Du?« rief sie lachend. »Du bist ein untauglicher Ehemann – und wie ich dich kenne, wirst du nie …«
»Lach mich nicht aus, Mädchen«, erwiderte Martin, »ich war schon verheiratet – vor Jahren …«
Während die Freunde Martin überrascht ansahen, malte er sich aus, wie in Bettinas ehrgeizigem Haus der Jahreswechsel gefeiert werden würde, und erinnerte sich Petras, seiner Tochter, die er noch nie gesehen hatte, ein Versprechen erfüllend; ohnedies war er gegen Bindungen, die unbequem werden konnten.
»Nun bist du an der Reihe«, sagte Susanne und reichte Martin das Bleistück.
Die Tropfen vereinigten sich zu einem viereckigen Guß.
»Was soll denn das sein?« fragte Susanne.
»Das kann ich euch erklären«, Martin lachte grimmig. »Das ist ein Geldschrank, feuerfest und einbruchsicher – und in ihm liegt mindestens die erste halbe Million, die ich im kommenden Jahr in neuer deutscher Mark verdienen werde.«
»Übernimm dich nicht«, erwiderte Felix; er hielt die Worte des Freundes für einen Scherz.
Martin wartete ungeduldig auf die Geldreform, auf die er sich vorbereitete wie ein Primus auf das Examen. Während andere unterwegs waren, um ein paar Zigaretten aufzutreiben, baute er schon an seinem ersten Haus; während sie noch immer mit dem Hunger kämpften, fuhr er bereits im Wagen seiner Zeit voraus.
Offiziere, die Martin durch Felix kennengelernt hatte, ebneten ihm den Weg. Sie mochten ihn, und er nutzte es. Fast nie wurden seine Bitten abgeschlagen, und selten fragte man ihn, worauf seine Wünsche hinausliefen.
Während Felix im Sanatorium gesundete, hatte Martin durch einen Major der US-Wirtschaftsabteilung einen Colonel des Heidelberger Hauptquartiers kennengelernt, der ihn nach Berlin weiterreichte, wo er bei einem Bankett eines US-Generals mit dem sowjetischen Verbindungsoffizier sprach, trank und um Nylongarn feilschte.
Sie wurden sich einig, und so rollten als Transitgut der amerikanischen Armee plombierte Güterwagen nach Berlin. Martin hatte diese ihm von einem Transportoffizier erwiesene Gefälligkeit nur ein paar langweilige Abende im Klub gekostet.
In Sachsen wurden die Fäden zu Strümpfen gesponnen und nach Abzug des Wirkerlohns, der mit Rohmaterial zu bezahlen war, nach Berlin geschafft. Auf Lastwagen mit dem weißen Stern an den Bordseiten rollten linksgewebte Damenstrümpfe nach München zurück, bereitgestellt für den Tag X.
Mitte Januar kehrte ein junger kräftiger Captain Lessing, dem man ansah, daß er viel für seine Gesundheit getan hatte, wieder in die Presseabteilung der Militärregierung zurück und hörte mit einem Schlag auf, der unbeliebteste und unbequemste Offizier des weiträumigen Hauses zu sein.
Er lehnte Drinks ab und verlor den aufreizenden Ton, den seine Kameraden so an ihm gefürchtet hatten.
Im Frühjahr des Jahres 1948 fand Felix die Spur, die zu Martins Mutter führte: Madame Rignier, die seit dem Tod ihres zweiten Mannes auf einer überseeischen Plantage ihrer Schwester lebte, würde zum erstenmal nach vielen Jahren im September wieder in ihre französische Heimat zurückkehren.
Fast gleichzeitig erhielt Felix von der Armee, die Erlaubnis, Susanne zu heiraten, womit ihm aber auch die Order drohte, Deutschland zu verlassen. Er wollte es nicht, noch nicht. Er stand im Banne einer ihm übertragenen
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