Die wilden Jahre
und später selbstgewählten Aufgabe: des Aufbaus einer unabhängigen deutschen Presse. Die Länder, die seit dem Zusammenbruch Deutschlands politische Vertretung waren, würden sich nach der Währungsreform zu einem westdeutschen Bundesstaat zusammenschließen; allmählich würde die Macht von den Siegern auf die Besiegten übergehen, wobei sich die Zeitungen, denen Felix die neue Freiheit anvertraute, bewähren müßten.
Als Geschenk für Susanne nahm Felix einen dreimonatigen Urlaub von der Armee, den ersten, seit Amerika in den Krieg eingetreten war. Er kaufte einen neuen Wagen, lud ihn mit Lebensmitteln und Zigaretten voll und startete Mitte Juni zu einer langen Fahrt ins Blaue. Weder Susanne noch Martin wußten, daß Felix die Reise für sie angetreten hatte.
XX
Daß Felix für längere Zeit abwesend war, kam Martin nicht ungelegen. Er wußte, daß sich der Freund – stets ein Theoretiker – bestimmt gegen die Skrupellosigkeit stellen würde, mit der Martin anrüchige Geschäfte tätigte. Täglich nahm er über viele fingierte Empfänger, die mit Anteilen abgespeist wurden, Liebesgabenpakete entgegen, welche er über seine Züricher Firma an sich selbst absandte. Der Zoll ließ sie noch lange unbesehen passieren, so daß Martin ihnen bald mehr verdanken sollte als Wohnung, Wagen und Wohlleben.
Die gleichen Hände, die ihm bei dem Handel mit Paketen behilflich waren, würden bald seine Strümpfe verteilen, deren Verkauf bereits geregelt war, bevor die Käufer Geld hatten: der spätere unmäßige Erfolg der Firma Ritt erklärte sich aus dem Umstand, daß Martin zu einer Zeit an die neue Mark geglaubt hatte, als es sie noch gar nicht gab.
Er wohnte am südlichen Stadtrand Münchens, nahe der Villa des Freundes. Nach dem Währungsschnitt wollte Martin in seine Heimatstadt Frankfurt übersiedeln, die er für den künftigen Regierungssitz Halbdeutschlands hielt; selbst er, der sonst alles voraussah, konnte nicht wissen, daß Rosenzüchter und Rheinromantiker das provinzielle Bonn zur Torso-Hauptstadt küren würden.
Als er ein paar Tage nach der Abreise des Freundes mit einem Wagen aus der Garage fuhr, kam ihm ein Mann in schlecht geänderter Offiziersuniform entgegen, der die Hand hob. Der Anhalter, der mittelgroß war, hatte hervorquellende grüne Augen. Martin erkannte ihn sofort.
Er trat auf die Bremse und rief ihm zu: »Wollen Sie mich wieder erschießen lassen, Schiele?«
Ihre Blicke kreuzten sich wie vor dem Feldgericht in Warschau; diesmal wirkte Schieles Gesicht farblos; an Martins Unterlippe hing ein malignes Lächeln.
»Das hätte ich längst haben können«, antwortete Dr. Schiele.
»Gehen Sie mir besser aus dem Weg!« sagte Martin, öffnete aber den Wagenschlag. »Was wollen Sie?« fuhr er ihn an. »Mut haben Sie ja.« Seine Zähne kauten die Worte.
»Ich suche Sie schon lange, Ritt«, begann der Feldrichter außer Dienst.
»Warum?«
»Weil ich Sie brauche.«
»Als Alibi?« fragte Martin höhnisch.
»Ja«, antwortete Dr. Schiele.
Martin fuhr los. Während er über die Brücke rollte, die Kurve schnitt, auf die Stadt zuraste, hörte er wieder sein Urteil, spürte die Angst, sah die Gehängten, stand in der Todeszelle, die aufgesperrt wurde, sah Schiele in seiner Uniform – nicht in diesem halbmilitärischen Trachtenanzug.
»Es geht Ihnen gut?« fragte Schiele.
»Zufrieden«, antwortete Martin. »So ändern sich die Zeiten. Was macht eigentlich ein Feldrichter ohne Krieg?«
»Er verteidigt sich vor der Spruchkammer.« Schiele lächelte schräg. »Sie haben es besser, Ritt, nicht?«
»Verdanke ich das auch Ihnen?«
»Wem sonst?«
»Sie haben Nerven, Schiele!«
»Sie hatten sie auch – damals. Wissen Sie, daß ich Sie nicht verurteilt hätte, wenn Sie nicht in der Verhandlung wie ein Idiot aufgetreten wären?«
»Wissen Sie eigentlich noch«, fragte Martin, »wie viele solcher Idioten wie mich Sie an die Wand stellen ließen?«
»Aber Sie leben doch noch.«
»Ich schon …«, entgegnete Martin.
»Sicher, Ritt. Ich habe Sie verurteilt und gerettet. Sie standen viermal auf der Hinrichtungsliste, und jedesmal ließ ich Sie wieder absetzen. Ich habe mich, wenn auch vergeblich, über den Gauleiter an Ihren Vater gewandt – ich habe Sie bis Küstrin im Auge behalten …«
Martin hielt den Wagen an und betrachtete Schiele. Der Mann wirkte nicht mehr scharf, sondern mürrisch und eher vergrämt als besorgt.
»Erinnern Sie sich noch an unser Gespräch im Gefängnis?« fragte
Weitere Kostenlose Bücher