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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Freude begriffen beide gleichzeitig, daß die Zeit sie nicht auseinandergebracht hatte, und Martin glaubte zu fliegen, zu stürzen, zu fallen – in daunenweiche Wirklichkeit.
    Sie hatten sich sofort gefunden, doch sie brauchten Wochen, um es zu erfassen. Sie begegneten einander nicht wie Mutter und Sohn; sie waren wie zwei Liebende, die täglich neue Vorzüge aneinander entdecken und bei Dritten stets übereinander sprechen müssen.
    Martin spürte heiße Dankbarkeit für Felix, der ihm Maman wiedergeschenkt hatte, aber wenn er mit dem Freund sprach, blieben seine Augen abwesend, als suchten sie die Mutter.
    Susanne und Felix, die nach ein paar Tagen nach Italien weiterreisten, hatten beobachtet, daß Martin wie ein Ritter um seine Mutter warb, sie wie ein Träumer umschwärmte, wie ein Verschwender beschenkte.
    Er zog mit ihr nach Frankfurt, und eine Weile sah es aus, als verschlafe er eine Chance. Aus einem harten Geschäftsmann schien ein hauptberuflicher Sohn zu werden. Mamans Wohlergehen war ihm wichtiger als kommerzielle Erfolge, ihr Lächeln der höchste Gewinn. Um bei der Mutter pünktlich zu sein, versäumte er wichtige Verabredungen.
    In der Öffentlichkeit sah man sie stets zusammen. Sie geizten mit jeder Stunde Trennung, als könnten sie versäumte Jahre nachholen. So sah sie die Stadt: Martin groß, Maman winzig, ihn wuchtig, sie schmächtig, Gegensätze, die zusammengehörten.
    Er begleitete Maman an die Riviera zurück; doch sie wollte nach Frankfurt übersiedeln, da sie lieber neben Martin zwischen Trümmern lebte als an der Côte d'Azur unter Palmen.
    Sie spürten, was sie entbehrt hatten, gruben die verlorene Zeit aus, als könnten sie sich, Jahre nachholend, gegenseitig verjüngen; im späten Spiel gewannen sie frühe Jugend. Martin sammelte Mamans Wünsche, und wenn sie keine hatte, weckte er sie.
    Fast zufällig bemerkte Martin schließlich, wie sehr Maman seinen Erfolg bewunderte. Sie hatte kaum nach seinen Geschäften gefragt; was alltäglich war, erschien ihr gewöhnlich – immer erwies sie sich als Dame einer entzückenden altmodischen Form; man konnte sich vorstellen, daß sie in ihrem Leben zwar Geld berührt hatte, aber nicht von ihm berührt worden war.
    Sie begleitet Martin durch die Schalterhalle seiner Bank, und er bemerkte, wie sehr ihr die höfliche Freundlichkeit der Angestellten gefiel, die er sonst gleichgültig übersah.
    Er lächelte über eine übliche Ungerechtigkeit, deren Nutznießer er war: in langer wartender Reihe zahlten Sparer ihr Geld ein, Einlagen, denen das Bankhaus seine Macht verdankte; dennoch kannte der Kassierer die meisten Kunden nicht und ersetzte ihre Namen durch Nummern, auf deren Aufruf sie warten mußten. Martin, der Geld holte – Summen, die sich aus Hunderten fremder Spareinlagen addierten –, wurde devot gegrüßt und hinter die wattierte Tür des Direktors geleitet, der seine Wünsche wie Befehle entgegennahm.
    Die Mark, auf ein Zehntel ihres Volumens amputiert, war knapp. Selbst den Banken fehlte sie, da die Kunden zunächst Güter nötiger hatten als Spareinlagen. Die Industrie verlangte nach Geld, das ihr der Kapitalmarkt nicht geben konnte. Die staatliche Aufsicht, der die Banken unterstanden, zwang sie zudem, zehn bis fünfzehn Prozent ihrer Einlagen als Mindestreserve in ihren Tresorräumen zu verwahren, Kapital, das sich nicht verzinste und auch noch zu verzinsen war.
    Aufmerksam verfolgte Martin, wie abenteuerlich die Unternehmer den Wiederaufbau ihrer Werke finanzieren mußten. Alle nährten sich von den gefährlichen Früchten eines wütend-schnellen Geldumlaufs. Der Mann auf der Straße kaufte Waren auf Raten, deren Fertigung gegen Wechsel finanziert worden war. Verbraucher, die ein Jahrzehnt lang in abgetretenen Schuhen gelaufen waren, wurden vom Nachholbedarf gezwungen, auf großem Fuß zu leben.
    Daß in den Tresorräumen der Banken Millionen und wohl bald Milliarden von Geldern brachlagen, denen die Auflage der Mindestreserven wie ein Klotz am Zinsfuß hing, begann Martin zu beschäftigen. Auf dem Papier ersann er eine Methode, kurzfristig Gelder in langfristige Kredite zu verwandeln. Es war eine Art pekuniärer Gesundbrunnen; es klang wie Zauberei und war doch ein rechnerischer Vorgang, ein logisches Umwälzsystem, das Martin bei sich Rotation nannte. Er trug die Idee Schiele, dem Versicherungsspezialisten, vor.
    »Interessanter Gedanke – wenn auch nur Spielerei, Theorie«, entgegnete der Jurist. »Wie wollen Sie denn an die

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