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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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großen Firmen …?«
    »Über Sie, Schiele.«
    »Und wie wollen Sie die Versicherungsleute überzeugen?«
    »Durch meine ersten Bilanzen«, antwortete Martin.
    »Und woher nehmen sie das immense Eigenkapital für Ihren Zauberbrunnen, Ritt?«
    »Das ist die Frage«, antwortete Martin.
    Eine Chance, diese Frage zu klären und dabei sein Vermögen vielfach zu vermehren oder alles zu verlieren, erhielt er ausgerechnet in der Zeit des endgültigen Abschieds von Felix und Susanne.
    Der Freund hatte es verstanden, seine Entlassung aus der Armee und die damit verbundene Rückkehr in die Staaten um fast zwei Jahre hinauszuschieben. Als er jetzt, im Herbst 1950, nach New York abreiste, wußte er, daß Martin auf goldenem Boden stand.
    Er brachte die Freunde zum Rhein-Main-Flughafen.
    »Also, du kommst bestimmt in spätestens zwei Jahren wieder«, versicherte sich Martin wieder einmal der Lüge.
    »Ganz bestimmt«, antwortete Felix, »verlaß dich darauf.«
    »Und wie fühlst du dich, Susanne?« fragte Martin.
    »Prächtig!« antwortete sie.
    »Attention please!« plärrte die Stimme über den Flugplatz. »Mr. and Mrs. Lessing are requested …«
    »So long!« sagte Felix.
    »Gute Reise!« rief Martin.
    »Besuch uns bald!« bat Susanne.
    Martin blieb an der Rampe stehen, verfolgte, wie die Maschine anrollte, sich von der Piste hob, Höhe gewann, eine Schleife zog. New York, dachte er, nur ein paar lächerliche Stunden Trennung – aber er spürte, daß ihm ein Stück Leben entschwand.
    Martin hatte schon an die Aktie geglaubt, als ihr noch andere Geschäftsleute der City – keineswegs unbegründet – den Wert von Altpapier zumaßen. Niemand konnte genau sagen, wer morgen die Herren einer Industrie sein würden, die vom Krieg zerstört, von der Demontage bedroht und von der Entflechtung betroffen war.
    Wertlose Wertpapiere aufzukaufen, hatte die Firma Ritt längst heimlich begonnen. Sie zahlte nur ein Butterbrot dafür, aber anderen schienen sie das Butterbrot nicht wert zu sein. Die Entwicklung war nicht abzusehen, man konnte Gold einkaufen, aber genausogut Makulatur erwerben; und so überließ man den Hasardeuren, den Spekulanten, den Goldgräbern das Feld.
    Daß die alten Herren wiederkehren könnten, glaubte Martin, weil er es fürchtete. Er wußte aber auch, daß die königlichen Kaufleute mit den leeren Schatzkammern die ersten sein würden, die sich auf Börsenpapiere stürzten, so diese wieder Gewinne versprächen – und so richtete er sich beizeiten auf die Konjunktur ein, kaufte und wartete die Machtkämpfe hinter den Kulissen ab, bei denen mit Sicherheit alte Ballungen zerschlagen und sich neue Majoritäten konzentrieren würden.
    Eine aufziehende Börsenschlacht glaubte Martin bei den Ferrai- Papieren vorauszusehen, deren einige er vorsorglich erworben hatte. Er nahm an, daß der Trust erstmals in die Autoindustrie einsteigen werde; er gehörte einem der Großen von gestern, einem der Alten, die man zu früh für beerdigt gehalten hatte.
    Martin kaufte diese Papiere weiter; entgegen seiner Erwartungen fielen die Kurse tiefer, als wollten sie beweisen, wie wenig einer Ferrai- Spekulation zu trauen war; gerade die Baisse schien Martin zu verraten, daß ein unsichtbarer Gegenspieler den Kurs drillte wie einen Fisch an der Angel, indem er gerade die Wertpapiere auf den Markt warf, deren Mehrheit er dann am Tiefpunkt wohlfeil aufkaufen würde.
    Das Manöver war undurchsichtig. Es ging bei diesem Fischzug für Martin um alles oder nichts; Kleinkäufe hatten keinen Sinn. Nur wer mehr als ein Viertel aller Ferrai-Aktien besaß, kam – womöglich – mit dem großen Alten ins Geschäft – und bis dahin hielten die Möglichkeiten eines raschen Millionengewinns und die Wahrscheinlichkeit eines Totalverlusts sich die Waage.
    Martin gab Weisung, vorsichtig weiterzukaufen. Gegen Ende der Woche zogen die Ferrai- Kurse an.
    »Waren Sie unvorsichtig, Schiele?« fragte er seinen Bevollmächtigten.
    »Nein. Wagenknecht kauft mit.«
    »Wer ist das?«
    »Eine Privatbank. Wir könnten jetzt mit gutem Gewinn aussteigen.«
    »Das würden Sie tun, Schiele«, erwiderte Martin schroff und gab Anweisung, für den Kauf der heißen Papiere alle Mittel auszugeben und alle Kredite auszuschöpfen.
    »Morgen sind Sie ein Bettler«, sagte Dr. Schiele.
    »Vielleicht«, antwortete der Mann, der nach oben wollte, zerstreut.

ZWEITER TEIL
    Der goldene Turm

I
    Der Wind schnitt sich an den Ecken der Häuser, er roch nach Moder und Müll,

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