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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Ritts Bewunderer zu einer besseren Zukunft gekommen, aber nur das Idol hatte erreicht, was sie werden wollten, und so war sein buntes Zerrbild zu einem heimlichen Ersatz für das eigene Ich geworden. Der Leser gönnte ihm die zahlreichen Millionen, die vielen schönen Frauen, die mondäne Welt. Er träumte sich in ihm wieder: reich und stark, mächtig und brutal.
    Ritt war ein Phänomen, weil er keine Angst hatte. Dafür liebten sie ihn, denn er wusch alles von ihnen weg, was sie an sich nicht mochten. Er wurde für sie zu einem glänzenden Abenteurer, während ihr einziges Abenteuer der Alltag war, mit seiner Angst vor der Wirtschaftskrise, der Wiederaufrüstung, der Atomwolke und dem Dritten Weltkrieg.
    Jede Frau, die der Leser neben Martin Ritt sah, legte er ihm ins Bett und bildete sich ein, es sei sein eigenes.
    Der Bürger betrank sich an Ritts Hausbar, tanzte mit ihm in Monte Carlo, stand hinter ihm am Spieltisch von Cannes, jagte mit ihm die Pisten von St. Moritz hinunter, war der unsichtbare Dritte in seinem Sportwagen, setzte mit der zweimotorigen Privatmaschine zum Looping an und landete glatt, sonnte sich neben ihm in Florida, versetzte Filmdiven, beschenkte die Armen, demütigte die Reichen – wie es in den Schlagzeilen stand.
    Die große geschmückte Empfangshalle war nur spärlich, doch nicht sparsam, mit ein paar schönen alten Stücken möbliert. Obwohl der Raum geschäftlichen Zwecken diente, wirkte er privat, fast behaglich. Offensichtlich hatte hier das Geld dem Geschmack geholfen, statt ihn zu bestimmen.
    Nur die vielen Blumengaben bedrängten das Auge. Am Boden standen überladene Körbe mit großköpfigen Chrysanthemen, eine Farbenorgie in Violett, eine Flut in Weiß, durchsetzt von Sattgelb und Rostrot, Blumen mit schmalgliedrigen Blättern und gefärbten Dolden neben Rosen in weißen Porzellanvasen; dahinter fast verdeckt, müd-lila Orchideen, die einsam und traurig vergingen, als wüßten sie um die Kürze ihrer Blüte.
    Farben wetteiferten, Düfte verdrängten einander. Es riecht wie in einem Warenhaus, Abteilung Parfumerie, dachte der Hausherr belustigt, wie in einem Gewächshaus, wie in der Aussegnungshalle eines Prominenten, verbesserte er sich. Aber ich lebe, überlegte er befriedigt, und zwar dreizehn Jahre nach meiner Hinrichtung zwischen Berlin und Warschau.
    Der Festredner der selbstbestellten, selbstbezahlten Laudatio, ein anerkannter Dichter aus Rom, wollte beginnen, obwohl der Staatssekretär, dessen Erscheinen Ritt den Ritterschlag in der City gegeben hätte, noch fehlte. Auch der Hausherr wußte nicht, ob der Mann, der von Amts wegen kommen mußte und aus privaten Gründen nicht kommen mochte, wirklich zu Exerzitien in ein Kloster geflohen war, wie ein Gerücht besagte.
    Der Gratulant schlug an sein Glas; die Gäste unterbrachen ihr Gespräch und sahen zu ihm auf.
    »Zehn Jahre sind nicht viel.« Die melodische Stimme des Redners wirkte so graumeliert wie sein Haar. »Ein Dezennium. Ein Sechstel, ein Siebtel, ein Achtel unseres Lebens.« Er verbeugte sich artig vor den Gästen, die dezent lächelten. »Vielleicht auch noch mehr. Wir sollten Optimisten sein.«
    Er ging zu Profanpoesie über, die den versammelten Herren verriet, daß der Festredner keinesfalls ein Volkswirtschaftler war.
    Sie hörten ihm aufmerksam zu, mit beflissenen Gesichtern. Man sah ihnen nicht an, daß sich ihre Gedanken dabei mit Investitionen, Spekulationen und Restriktionen beschäftigten. Andere dachten an den Nachhilfeunterricht ihrer Kinder oder die Hausfreunde ihrer Frauen, viele an die Wahl zum Dritten Deutschen Bundestag.
    »Wir sind eine Gesellschaft ohne Vergangenheit«, sagte der Dichter. »Traditionen, die gestern noch wirkten, sind verweht. Der stürmische Wiederaufbau ließ es auch kaum zu, daß etwas organisch wuchs. Vieles war Improvisation, Initiative, Pioniertum!«
    Ritt staunte über diese Worte, obwohl er sie im Manuskript genehmigt hatte, bevor sie auf holzfreies, satiniertes Papier gedruckt worden waren, um den Geschäftsfreunden überreicht zu werden, denen Ritts wirkliche Vergangenheit auch weiterhin verborgen blieb.
    »So komme ich jetzt zum Wirken des Mannes«, sagte der Redner, »dessen Bescheidenheit mir leider verbietet, seine Persönlichkeit so zu würdigen, wie sie es wohl verdienen würde.«
    Die Augen der Gäste suchten den Hausherrn. Martin sah über sie hinweg und bemerkte erst jetzt die abseits stehende junge Frau. Er kannte sie nicht, aber sie fiel ihm im Reigen der

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