Die Wildkirsche. Erotischer Roman
streiftest, denn alle glauben, dass du tief in deinem Herzen noch immer dasselbe unberechenbare Tier bist, das auf den Jahrmärkten ausgestellt wurde.«
Juliens Miene verdunkelte sich. Seine Hand schloss sich fester um den Stein. Dieser Mann war ein Teufel.
»Wollt Ihr mich hier töten? Ich sehe weit und breit kein Gestrüpp, Monsieur.«
»Ich werde deinen toten Körper ins Tal schleifen, wo sich genügend Sträucher finden.«
»Mit Eurem verletzten Bein dürfte sich das aber höchst schwierig gestalten.«
De Faucet lachte überheblich. »Ich habe einen Gehilfen, der in der Nähe auf mich wartet. Und nun genug! Hiermit eröffne ich die Jagd! Lauf so schnell du kannst, Wölflein. Lauf!«
Julien wusste, dass de Faucet ihn von hinten erschießen würde. Doch soweit würde er es nicht kommen lassen. Er spannte jeden Muskel in seinem Körper an, holte aus und warf den Stein nach de Faucet, der vor Schreck aus dem Gleichgewicht geriet und abdrückte. Der Schuss ging mit einem ohrenbetäubenden Knall ins Leere. Julien machte einen Satz nach vorn, in der Absicht, de Faucet die Flinte zu entreißen, doch dieser hielt dagegen. Verbissen rangen die beiden Männer miteinander. Unvorstellbarer Hass flammte in de Faucets Augen auf, als Julien ihn zu einem Abgrund trieb. Sein Stiefel schnellte vor und traf Juliens Schienbein, der schmerzerfüllt aufschrie und das Gewehr losließ. In diesem Moment schleuderte de Faucet die Waffe zur Seite, zog einen Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel und ging auf Julien los. Julien warf sich mit dem Kopf voran gegen seinen Kontrahenten, sodass de Faucet nicht die Gelegenheit bekam, die Klinge in sein Fleisch zu stoßen. Stattdessen taumelte er zurück und rutschte mit einem markerschütternden Schrei den Abgrund hinab. Julien versuchte ihn zu greifen, doch bekam nur den Stoff seines Ärmels zu fassen, der im nächsten Moment riss. De Faucet fiel in die Tiefe.
Fassungslos blickte Julien in die Tiefe, wo der reglose Körper des Adligen lag. Sein Hals war in einem unnatürlichen Winkel verdreht.
Rasch lief er den Pfad hinunter zu dem Unglücklichen. Er tastete nach seinem Puls, wie es Beaumont unzählige Male bei ihm getan hatte, wenn er ihn untersuchte, konnte bei de Faucet jedoch kein Leben mehr feststellen.
»Kommt zu Euch!«, schrie er den Leblosen an und rüttelte ihn. »Sprecht mit mir!« Aber de Faucet schwieg. Sein Antlitz war zu einer bleichen Maske geworden.
»Amaury!«, drang die hysterische Stimme einer Frau zu ihm vor.
Erschrocken hob Julien den Kopf und entdeckte den Jägertrupp, der schon einmal seinen Weg gekreuzt hatte. Das Entsetzen stand den Gefährten ins Gesicht geschrieben. Rasch stiegen sie von ihren Pferden. Zwei Männer eilten mit ihren Gewehren auf ihn zu. Ehe er sich versah, hatten sie ihn wie einen Schwerverbrecher umzingelt.
»Was hat das zu bedeuten?«, rief Julien, als sich erneut ein Gewehrlauf auf seinen Kopf richtete.
»Mein Gott, Amaury ist tot«, sagte Madeleine mit zitternder Stimme. »Der Wilde von Gagnion hat ihn getötet!«
Julien wollte etwas sagen, die Situation aufklären, doch da holte einer der Jäger aus und schlug ihm den Kolben seines Gewehrs gegen den Kopf. Augenblicklich schwanden ihm die Sinne.
***
Verzweifelt hatte Lorraine versucht, ihre Fesseln mit dem Messer durchzutrennen, um Julien zu Hilfe zu eilen. Als sie jedoch endlich die Stricke abstreifen und den Knebel aus ihrem Mund nehmen konnte, waren die Jäger bereits verschwunden und hatten Julien mitgenommen. Sie hatte zwar nicht gesehen, was in den letzten Minuten geschehen war, aber sie hatte das meiste gehört und wusste, in welcher Gefahr der Mann schwebte, den sie über alles liebte. Sie musste schnell nach Hause gelangen, um ihrem Vater von alldem zu erzählen. Wenn es jemanden gab, der eine Lösung wusste, dann war er es.
Die Heimkehr gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht. Lorraine verirrte sich im Wald und fand erst mit der Abenddämmerung nach Gagnion zurück. Ihr Vater war von Juliens Verhaftung längst unterrichtet worden, die wahre Geschichte kannte er bisher jedoch nicht. Lorraine erzählte ihm alles, und Beaumont schenkte ihr zu ihrer Erleichterung Glauben, da er sich nicht vorstellen konnte, dass Julien zu einem Mord fähig war. Dennoch blieben Fragen offen. Nach Lorraines Erzählung trachtete de Faucet nach Juliens Leben, weil dieser in Wahrheit Javier war, der Sohn des Comte. Dies allein war jedoch kein Mordmotiv. Es musste mehr dahinter stecken.
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