Die Winterprinzessin
eskortiert. Ein Entkommen war unmöglich.
Warum aber hätte sie mich erst befreien und mit ihren Wunderkräutern heilen sollen? Um mich zu erpressen? Hätte sie das nicht viel früher und mit weniger Aufwand bei Jakob versuchen können? Hatte sie es gar versucht? Natürlich, dachte ich, und spürte plötzlich völlige Gewissheit. Nicht Säbel und Dolch waren ihre Waffen gewesen, sondern ihr Lächeln, ihre Lippen, ja vielleicht noch sehr viel mehr. War mein Bruder, gerade er, der treue Apostel von Vernunft und Logik, war ausgerechnet er ihren Reizen erlegen?
Ich starrte ihn entgeistert an. Er schien ebenso erstaunt über Jades Behauptung wie ich selbst. Seltsamerweise aber verzichtete er immer noch auf Widerspruch. Dabei war doch Zögerlichkeit nicht eben sein Naturell. Schon gar nicht in einer Lage wie dieser.
Es sei denn … ja, es sei denn, Jakob war verliebt!
Grundgütiger, das war es! Jades Lächeln hatte den Panzer der Ratio gestürmt, und Jakob war ihr verfallen. Was war tatsächlich geschehen, während ich in meinem Kerker lag? Hatten die beiden mir wirklich alles gesagt? Was hatten sie miteinander getrieben, als Jades Diener die Wälder nach mir durchforschten, in all den dunklen, einsamen Stunden der Nacht?
Oh, ja; ich wollte meine Anklage hinausbrüllen, wollte schreien und toben, wollte Jakob seine Untreue vorhalten und alle gemeinsamen Bande zerschlagen.
Doch eine Stimme in meinem Inneren meldete sich zaghaft zu Wort: Warum?
Und so traf die älteste Frage der Welt auf das älteste Gefühl.
Auf Eifersucht.
6
I nnerlich kochte ich, doch nach außen hin blieb ich gefasst. Es war Jakobs freie Entscheidung gewesen. Seine und die der Prinzessin! Ich dachte an den Blumenkranz in meinem Gepäck und hätte darauf spucken mögen. Welch ein Hohn. Man hatte mich hintergangen wie einen einfältigen Schuljungen.
Nun gut, dachte ich, dann werde ich euer Spiel eben mitspielen und mir nichts anmerken lassen. Werde schweigen und den Dummen spielen. Es reichte, wenn einer vor Verliebtheit die Augen kaum noch aufbekam.
Da sagte Jakob: »Aber wir wissen wirklich nicht, wo das Kind ist.«
Wir wissen wirklich nicht, wo das Kind ist. Der Tonfall, in dem er das sagte! Noch zwei Tage vorher hätte er sie angefahren, sie der Unverschämtheit und Unterstellung bezichtigt. Stattdessen sagte er nur leise: wirklich nicht. Was für eine geschmacklose Farce!
Allem Anschein nach lag es nun an mir, Jakobs Rolle zu übernehmen.
»Ich bin Ihnen dankbar für das, was Sie für mich getan haben«, sagte ich eisig und hielt dem Blick der Prinzessin mühelos stand. »Selbst, wenn Sie es aus Eigennutz und niederen Motiven taten. Sie haben mich gerettet, weil Sie wissen wollen, wo der Sohn des Herzogs ist? Nun, dann hören Sie mir zu: Wir gingen zu diesem Doktor, diesem Hadrian, um genau das herauszufinden – ob Sie mir glauben oder nicht. Mir scheint, Sie haben versagt, Prinzessin. Ihre Suche ist ein völliger Fehlschlag. Und, verlassen Sie sich darauf, es interessiert mich nicht im Geringsten, welche Beweggründe Sie auf die Spur dieses Kindes brachten!«
Und wie es mich interessierte! Doch ich war viel zu stolz, danach zu fragen. Nicht im Zustand solcher Entrüstung.
»Des Weiteren möchte ich Sie bitten, uns umgehend beim Schloss abzusetzen und sich in Zukunft von uns fern zu halten.« Ich konnte mir nicht verkneifen, gehässig hinzuzufügen: »Von mir, zumindest.«
Das war ein feiner Schlusspunkt, fand ich. Die Empörung in passende Worte gegossen. Nicht gerade ein Triumph, aber doch Balsam für meine gekränkte Seele.
Die beiden starrten mich fassungslos an und sagten kein Wort. Jade blinzelte verwirrt, als habe sie keine Ahnung, wovon überhaupt die Rede sei.
Innerlich bog ich mich vor Lachen.
»Wilhelm?«, fragte mein Bruder zaghaft. »Die Gefangenschaft hat dich wohl stärker mitgenommen, als wir dachten.«
Jade kramte gleich ihren Kräuterbeutel heraus und roch daran, als zweifelte sie plötzlich an der richtigen Zusammensetzung des Trunks.
Ich gab keine Antwort, badete vielmehr in kühlem Stolz und Selbstmitleid.
»Ich fürchte«, meinte Jakob schließlich, zur Prinzessin gewandt, »wir wissen tatsächlich nichts über den Aufenthalt des Kindes. Mein Bruder mag anderer Ansicht sein, aber mich persönlich verlangt es brennend zu erfahren, warum Sie so sehr an dem Kind interessiert sind. Haben Sie tatsächlich seinetwegen die lange Reise von Indien hierher gemacht?«
Jade seufzte. »Ach, das Kind … als ob es in
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