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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nickte kurz.
    Wir verneigten uns und sahen zu, wie der Mann, der uns eingelassen hatte, ihr den Zettel mit der Nachricht reichte. Sie überflog ihn und gestattete sich ein schmales Lächeln. Dann las sie vor: »Die Gräfin Hochberg wünscht Ihre Gesellschaft. Es geht um Leben, Tod und Reichtum.« Sie schüttelte den Kopf und bedachte den Mann mit einem schwer zu deutenden Blick. »Ihr habt wieder maßlos übertrieben, mein Bester.«
    Er verbeugte sich wortlos und ohne eine Miene zu verziehen, dann trat er rückwärts mehrere Schritte nach hinten.
    »Meine Herren«, sagte die Gräfin, »ich darf vorstellen: Herr Johann Ludwig Klüber, badischer Staatsrat und Geheimer Legationsrat, Kenner aller höfischen Geheimnisse und mein treuer Berater.« Sie sagte das mit solcher Herablassung, dass sogleich klar wurde, in welcher Beziehung Klüber zu ihr stand: Er verehrte sie bis zur sklavischen Ergebenheit, trotz seiner hohen Stellung, und sie nutzte ihn gewissenlos für ihre Zwecke aus. Solcherlei Paarungen waren bei Hofe keine Seltenheit. Hoch gestellte Frauen wurden überall von Schmeißfliegen wie Klüber umschwirrt, und die meisten Damen verstanden es sehr wohl, ihren Vorteil daraus zu ziehen.
    Über die Gräfin selbst wussten wir nicht viel, doch das Wenige war in gewisser Weise eindrucksvoll. Sie hatte als junge Frau den um vierzig Jahre älteren Karl Friedrich von Baden geheiratet, den Großvater des amtierenden Herzogs Karl. Nach dessen Tod ließ sie sich mit dem Sohn ihres Mannes aus erster Ehe und späterem Thronfolger Ludwig ein, wie es hieß, aus reiner Berechnung und Machtgier. Dass die Gerüchte der Wahrheit sehr nahe kamen, verdeutlichte die finanzielle Situation der Gräfin. Man munkelte, sie habe bei mindestens zweihundert Familien Schulden gemacht, ja, sie habe deshalb schon vor Jahren vergeblich versucht, ihren damaligen Ehemann vom Thron zu stürzen, um sich so der herzoglichen Gelder zu bemächtigen. Der Leibhaftige mochte wissen, wie sie sich aus dieser Katastrophe heil herausgeschlängelt und doch ihre Stellung bei Hofe bewahrt hatte. Jeden anderen hätte man auf der Stelle vor ein Erschießungskommando geführt. Nicht so die Gräfin Hochberg. Mit diabolischer Schläue hatte sie die richtigen Fäden gezogen und die Marionetten im Umfeld des Großherzogs auf ihre Seite gebracht. Sogar der derzeitige Großherzog Karl, der, wie man hörte, der Gräfin keineswegs freundlich gesonnen war, hatte bislang nicht gewagt, ihr die Tür zu weisen. Später, Jahre nach den hier geschilderten Ereignissen, gelang es ihr sogar, ihren Stiefsohn und Liebhaber Ludwig auf den Thron zu heben und so ihre eigene Macht zu stärken. Kurzum: Was die Hexe Morgana für den Hof des König Artus war, das war die Gräfin Hochberg für das Herzogtum Baden.
    »Ich hörte, weshalb Dalberg Sie nach Karlsruhe kommen ließ.« Sie sagte nicht Minister oder Herzog, wie es standesgemäß gewesen wäre, sondern nur Dalberg. Verachtung klang aus ihrem Tonfall. Kein Wunder: Es war Dalberg persönlich gewesen, der ihre früheren Umsturzpläne vereitelt hatte.
    »Er mag seine Gründe für diese Einladung haben«, fuhr sie fort, »doch ich muss Ihnen leider mitteilen, dass sie nicht von jedermann hier im Schloss geteilt werden. Dalberg hat allerlei Geheimnistuerei um die Hintergründe Ihres Aufenthalts betrieben, meine Herren, aber es war nicht schwer, die Wahrheit herauszufinden, und so sage ich Ihnen: Der Sohn des Großherzogs ist tot und braucht ganz sicher keinen Lehrer mehr, der ihn erzieht. Es sei denn, werter Herr Grimm, Sie möchten Ihren Unterricht auf einem Friedhof abhalten.«
    Ich gab mir Mühe, mein Erschrecken nicht zu zeigen – ohne Erfolg, wie ihr siegessicheres Schmunzeln verriet. Jedoch, was konnte noch Schlimmeres geschehen, als durch die Odiyan verschleppt zu werden? Sicher war es nicht die Gräfin gewesen, die die bezahlten Mörder aus Indien hatte anreisen lassen – für sie hätte es nahe liegendere Möglichkeiten gegeben –, doch die Macht dieser Frau war nicht zu unterschätzen.
    Mein Blick fiel auf eine Wachsstatue über dem Kamin. Die Kerzenflamme hatte ihren Schädel verzehrt und fraß sich nun zum Brustbein hinab.
    »Weshalb stört Sie unsere Anwesenheit?«, fragte Jakob, der allmählich zu seinem alten Trotz zurückfand.
    Die Gräfin beugte sich vor und funkelte ihn an. »Ich habe den Eindruck, Sie stellen gerne schlaue Fragen, Herr Grimm.«
    »Nur so lange ich geistvolle Antworten erwarten darf.«
    Klüber trat vor.

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