Die Winterprinzessin
»Zügeln Sie sich, mein Herr«, fuhr er Jakob an. Wir waren wirklich auf dem besten Wege, uns den ganzen Hofstaat zum Feind zu machen.
Jakob blieb gelassen. »Ich fürchte, ich verstehe nicht, weshalb Sie uns kommen ließen, Gräfin. War da nicht von Leben und Tod die Rede?«
Die Gräfin lachte plötzlich. »Und von Reichtum, Herr Grimm, nicht wahr? Das ist es doch, worauf Sie anspielen.«
Jakob schwieg, wohl um herauszufinden, wie weit die Gräfin in ihrem Bestreben, uns loszuwerden, gehen würde.
»Klüber!«, gebot sie scharf. »Wie viel sind uns diese beiden Herrn wert?«
»Ich glaube nicht, dass meine Ansicht zählt, Gräfin«, erwiderte der Staatsrat devot. Es war schändlich, wie sich dieser Mann erniedrigte.
»Nun …«, begann die Gräfin, überlegte kurz und nannte dann einen gewissen Talerbetrag. Um ehrlich zu sein, es war eine rechte Menge. Und doch war es mir zutiefst zuwider, das Angebot anzunehmen. Jakob war anzusehen, dass er ebenso empfand.
Wie üblich nahm er keine Rücksprache mit mir, ehe er sagte: »Wir danken Ihnen, Gräfin, sehen uns aber leider veranlasst, die großzügige Geste auszuschlagen.« Damit wandte er sich zur Tür. Ich tat es ihm gleich.
Hinter unseren Rücken raschelte es, als die Gräfin sich vom Sessel erhob. Ein Luftzug ließ die Kerzenflammen erzittern. »Ob Sie das Geld annehmen oder nicht, meine Herren, interessiert mich nicht. Doch ich rate Ihnen, Karlsruhe zu verlassen, ich rate es Ihnen in aller Schärfe. Seien Sie zudem gewiss, dass dieser Austausch nie stattgefunden hat. Der ehrenwerte und hoch angesehene Staatsrat Klüber wird das jederzeit bestätigen.«
Ehe ihr Gefolgsmann uns den Weg weisen konnte, waren wir bereits zur Tür hinaus, eilten durch die beiden Vorzimmer und verließen die Gemächer der Gräfin.
»Was nun?«, fragte ich ratlos, während wir den Gang hinabgingen. Vergessen war für den Moment der schändliche Betrug meines Bruders, vergessen waren meine Eifersucht und die verlorene Taschenuhr, all die Dinge, über die ich mit ihm hatte sprechen wollen. Im Augenblick galt es, wichtige Entscheidungen zu treffen.
»Zu Dalberg«, entgegnete Jakob bestimmt.
»Ich denke, er ist fort?«
»Mag sein. Oder auch nicht. Allmählich traue ich hier keinem mehr, am allerwenigsten diesem fetten Sekretär.«
So eilten wir quer durchs Schloss, an Dutzenden grauer Beamtengesichter vorüber, zum Empfangssaal des Ministers. Und wieder einmal sollte Jakob Recht behalten.
»Wo ist er?«, fragte er kaltschnäuzig, als der grün befrackte Sekretär die Tür öffnete. »Und, bitte, diesmal keine Ausrede.«
Bernard starrte uns mit einer kuriosen Mischung aus Widerwillen und Belustigung an. »Ich sehe mit Besorgnis Ihre Erregung, meine Herrn. Ist Ihren Wünschen etwas zuwidergelaufen?«
»Wir möchten den Herrn Minister sprechen«, sagte ich mit Nachdruck.
»Er ist doch wieder im Schloss, nicht wahr?«, setzte Jakob hinzu.
Der Sekretär nickte langsam. »In der Tat. Aber ich fürchte, es ist derzeit unmöglich, ihn zu erreichen.«
»Was spricht diesmal dagegen?«, fragte Jakob wütend.
»Nicht ich, um Himmels willen, nicht ich«, entgegnete der Sekretär geschwind. Ich wusste nicht, ob seine Beflissenheit ehrlich oder reine Ironie war. Ein entsetzlicher Mensch.
»Wo ist er?«, verlangte Jakob noch einmal zu erfahren.
»Das ist die Schwierigkeit. Minister von Dalberg befindet sich in einer wichtigen Unterredung im Thronsaal des Großherzogs. Ich bin untröstlich, aber ich kann ihn beim besten Willen nicht stören.«
Jakob drehte sich ohne ein Wort um und ging davon. Ich schaute ratlos von ihm zu dem verwirrten Sekretär, dann hob ich nur die Schultern und folgte meinem Bruder.
»Du hast doch nicht vor, eine Torheit zu begehen?«, fragte ich beunruhigt, während ich Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten.
»Oh doch, ganz sicher sogar.«
»Es ist meine Zukunft, die du hier aufs Spiel setzt, nicht deine.«
Er blieb abrupt stehen. »Deine Zukunft? Lieber Himmel, Wilhelm! Man hat dich heute Nacht fast ermordet, die Gräfin Hochberg bedroht uns, und du denkst nur an deinen Posten! Ich fürchte, mein Lieber, es ist an der Zeit, dass du die Augen aufmachst und wahrnimmst, was um dich herum vorgeht.«
Endlich! Da war es. Das konnte er haben. Nichts lieber als das! »Was um mich herum vorgeht?«, fuhr ich ihn an. Am Ende des Korridors wandten sich zwei Höflinge verdutzt nach uns um. »Du verlangst eine Szene? Wie du willst. Ich weiß, was zwischen dir und der
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