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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Napoleons überstürzte Abreise aus Moskau. Keiner wusste genau, weshalb er seine Truppen so unerwartet verlassen hatte; und auch die Geheimnistuerei, sein Verzicht auf jeden Begleitschutz zur Wahrung seines Inkognitos, gab allerlei Rätsel auf.
    Ihr Fuß zog sich von meinem Bein zurück, sie legte sich auf die Seite und nahm nun zwei Drittel des ausgebreiteten Fellumhangs ein. Ich hätte in den Schnee rücken müssen, um ihrer Berührung auszuweichen. Gleichwohl, ich blieb sitzen. Täuschte ich mich, oder ging wirklich eine magische Wärme von ihrem Körper aus?
    »Nun gut«, sagte ich und bemerkte, dass meine Stimme bebte. Es fiel mir schwer und immer schwerer, mich auf ihre Worte zu konzentrieren. Zu nahe war ihr begehrenswerter Leib. »Sagen wir, Sie hätten in allem Recht, was Sie behaupten. Dann bleiben immer noch zwei Fragen offen. Erstens: Was ist so Besonderes an diesem Heiligtum, dass Napoleon jeden Preis dafür zu zahlen bereit ist? Und zweitens, ich wiederhole mich: Was hat all das mit dem Sohn des Großherzogs zu tun?«
    Jade reckte sich und stieß einen leisen Seufzer aus. »Was ist dem Kaiser wichtiger – sein Thronfolger oder die Amrita-Kumbha? Allein diese Frage ist es, um die es geht. Wie kann man einen Dieb um seine Beute bringen, einen Dieb, der längst alles besitzt und für den nahezu nichts mehr von Wert ist? Man bringt ihn um das Einzige, an dem ihm wirklich gelegen ist, für das er alles tun würde. Und dann schlägt man ihm einen Tausch vor.«
    »Sie wollen ihn erpressen? Den Kaiser?«
    »Uns bleibt keine andere Wahl. Wir müssen den badischen Prinzen in unsere Gewalt bringen, koste es, was es wolle, und Napoleon einen Handel vorschlagen. Das Kind gegen die Amrita-Kumbha. Begreifen Sie jetzt, warum es so wichtig ist, dass wir den Aufenthaltsort des Prinzen erfahren?«
    Noch immer rangen ihre langen Finger miteinander, ganz wie von selbst, ein verwirrender Taumel aus kleinen Bewegungen. Es sah aus, als spielten die Finger der rechten Hand auf denen der linken Klavier, und umgekehrt. Jade hatte jetzt ein Bein lang ausgestreckt, das andere leicht angewinkelt. Sie selbst lag auf dem Rücken, ihre Hände waren unterhalb des Nabels ineinander verschlungen. Der Saum ihres bauchfreien Hemdes war so weit hochgerutscht, dass er sich über den Ausläufern ihrer mädchenhaften Brüste hob. Ihre Rippen wölbten sich unter der hellbraunen Haut. Sanft hob und senkte sich ihr Oberkörper im Rhythmus ihrer Atemzüge.
    »Hat Kala Ihnen das beigebracht?«, fragte ich schwindelnd.
    »Was meinen Sie?«
    »Die Kälte auszusperren. Sie scheinen nicht zu frieren, trotz … ich meine …« Ich stammelte wie ein Schuljunge und deutete zögernd auf ihre nackte Haut.
    Sie lächelte schalkhaft. »Fassen Sie einmal an.«
    »Bitte?«
    Nun lachte sie wirklich. »Legen Sie Ihre Hand auf meinen Bauch. Sie werden überrascht sein.«
    »Ich weiß nicht … ich glaube, ich sollte das nicht …«
    »Seien Sie doch nicht so steif.«
    Steif?
    »Machen Sie schon«, forderte sie noch einmal, dann ergriff sie einfach meine Rechte am Handgelenk und führte sie über ihren Nabel.
    Himmel, sie hatte mir gerade eine der größten Intrigen der Weltgeschichte offenbart, und nun bat sie mich, meine Hand auf ihre Haut zu legen! Das Schlimme war, ich konnte längst an nichts anderes mehr denken. Napoleon, Indien, sogar Jakob, das alles waren mit einem Mal Begriffe aus einer fremden Sprache, einer anderen Welt. Nichts, das mich betraf. Für mich existierten nur die Prinzessin und die Wärme, die von ihr ausging.
    »Spüren Sie es?«, flüsterte sie.
    Und wie ich es spürte! Ihre samtene Haut, weich und straff zugleich. Unmöglich, diese Nähe zu beschreiben, die Tiefe meiner Empfindung. Denn wenn hier auch Wort an Wort sich reiht, so bleiben sie doch Druckerschwärze und Papier, vermengt mit bunten Bildergeistern. Niemals aber besingen sie das wahre Gefühl, die Lust meiner Fingerspitzen, ihr Fleisch zu fühlen, ganz leicht, fast luftig gar. Allein die Wärme wage ich zu nennen, die Hitze, die sie ausstrahlte, diese Glut inmitten einer Januarnacht. Denn nun sprang sie wahrhaftig über, ganz körperlich, ganz greifbar. Mir war heiß, trotz Schnee und Eis und Winterwehen.
    »Ich … ich kann es fühlen«, brachte ich stockend hervor.
    »Sie haben Recht«, sagte sie belustigt. »Kala hat es mich gelehrt. Und auch ein wenig Hellseherei. Er war ein Meister darin.
    Er wusste gleich, wer Sie waren, als Sie in dieses Gasthaus im Wald kamen. Er sah,

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