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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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was Sie bei sich trugen.« Sie seufzte bei der Erinnerung daran. »In meiner Heimat habe ich viele Lehrer gehabt, in vielen Disziplinen.«
    »Sie fechten gut, nehme ich an.« Ich hörte mir selbst kaum mehr zu. Immer noch lag meine Hand auf ihrem flachen Bauch, spürte das wohlige Schaudern ihres Leibes und auch, als wäre es weit entfernt, das Pochen ihres Herzens.
    »Ich fechte, ja, aber ich habe auch andere Dinge gelernt. Erfreulichere Dinge.« Sie lächelte und schaute mich an, als warte sie auf eine Geste, ein ganz bestimmtes Wort.
    Ich konnte ihren Blick nur stumm erwidern. All meine Sinne waren auf meine Fingerspitzen gerichtet, dort lief Denken und Wollen zusammen.
    Ihre rechte Hand lag plötzlich an meinem Hinterkopf. Ich hatte sie nicht kommen sehen, Blinder, der ich war. Ihre Finger gruben sich in mein Haar, zogen mein Gesicht langsam, langsam zu ihren Lippen herab.
    »Die wahre Kunst«, wisperte sie zärtlich. »Ich beherrsche sie besser als jede andere. Keine hat darin so gute Lehrer wie eine Tochter des Maharadschas. Keine.«
    Lehrer?, dachte ich noch, aber dann entschwand der Gedanke wie ein Nebelschwaden im brausenden Sturmwind – denn ein Sturm war es wohl, der mich gepackt hielt, der an mir zog und mich verzehrte.
    »Was ist – «
     – die Amrita-Kumbha?, hatte ich fragen wollen, aber ihre weiche Zunge trank mir die Worte von den Lippen, und so aß ich schweigend von den köstlichen Früchten ihrer Gelehrsamkeit.
     
    * * *
     
    Später fand ich im Schnee einen Zettel, auf dem fünf eilig hingeworfene Buchstaben standen:
    L-I-E-B-E.
    Jade nahm mir das Papier aus den Fingern und zerknüllte es.
     
     

3
    U nd Jakob?« Es waren die beiden ersten Worte, seit wir den Hügel verlassen und uns wieder auf den Weg zur Abtei gemacht hatten.
    Wir hatten die halbe Strecke zurückgelegt und dafür das Zweifache an Zeit wie für den gesamten Hinweg gebraucht. Die Nacht beherrschte den Wald, und selbst Jade mit ihrem Hauch von Hexenkräften (wie sonst hätte es je so weit kommen können?) schien vor der Finsternis und dem unwegsamen Dickicht zu kapitulieren. Die Schlacht war geschlagen, und die Kämpfer mühten sich verzweifelt, den Weg nach Hause zu finden.
    Ich hatte Jakob gegenüber kein schlechtes Gewissen, keineswegs. Weshalb auch? Vielmehr war ich sicher, dass er ebenso gehandelt hätte – und es wahrscheinlich längst getan hatte, in jener Nacht, als ich im Kerker der Odiyan um mein Leben bangte. Fraglos war das Jades Magie: Mit einem Lächeln und einer zarten Berührung vertrieb sie die Schrecknisse und schenkte süßes Vergessen. Aber es wäre falsch gewesen, allein die Wohltäterin in ihr zu sehen. Wie sie gab, so nahm sie auch, denn sie hatte das Vergessen ebenso nötig wie ich. Immerhin drohte ihr in der Heimat der Tod. Ich war überzeugt, dass sie genau solche Angst empfand wie ich selbst, obgleich sie es nicht zugeben mochte.
    »Und Jakob?«, fragte ich noch einmal, als Jade keine Antwort gab.
    »Was ist mit ihm?«
    »Droht ihm im Schloss und auf der Reise keine Gefahr?«
    Sie zuckte zusammen, als im Dunkel ein Zweig ihr Gesicht peitschte. »Machen Sie sich keine Sorgen« – sie blieb trotz allem beim förmlichen ›Sie‹ –, »Ihr Bruder wird bald hier sein.«
    »Jakob kommt hierher?«, entfuhr es mir erstaunt.
    »Natürlich. Dachten Sie, er lässt Sie allein mit mir?« Sie kicherte vergnügt.
    »Es gibt noch zwei Dinge, die Sie mir erklären müssen«, bat ich, während wir uns weiter durch gefrorenes Buschwerk kämpften. Ihr Wärmezauber hatte seine Wirkung auf mich verloren, und ich fror erbärmlich.
    Sie seufzte betont. »Noch mehr Erklärungen?«
    »Sie können sich ja kurz fassen.«
    »Was bleibt mir übrig? Sie sind ein Mann, wir sind allein im dunklen Wald, und ich bin Ihnen ausgeliefert.«
    »Spotten Sie nur«, entgegnete ich giftig. Trotzdem lachten wir beide.
    »Sie wollen mehr über die Odiyan wissen, nicht wahr?«, fragte sie. »Und über die Amrita-Kumbha.«
    »Verständlicherweise, oder?«
    »Sehen Sie, die Odiyan sind Inder wie ich. Und sie sind kaltblütige Mörder. Aber all das wissen Sie bereits. Wichtig ist vielmehr, wem sie gehorchen. Und wer sie hierher geschickt hat.«
    Sie wich weiteren Zweigen aus, dann fuhr sie fort: »Im 16. Jahrhundert Ihrer Zeitrechnung kamen Missionare in mein Land, Jesuiten, die meisten waren deutscher Abstammung.
    Sie siedelten rund um die Stadt Goa im Dschungel und begannen, meine Vorfahren zum Christentum zu bekehren.«
    »Aber Sie sind

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