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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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rannte ich auf die beiden Kämpfenden zu.
    »Stanhope!«, rief ich.
    Die Attacken des Lords setzten einen Herzschlag lang aus. Er sah sich nach mir um. »Grimm! Zum Teufel, wo haben Sie gesteckt? Ich habe Sie überall gesucht.«
    Kala stieß das Fakirhorn nach vorne, doch Stanhope drehte sich elegant zur Seite und entging dem tödlichen Stich. Er lächelte dabei. Unglaublich.
    Ich zögerte. Was sollte ich tun? Ihn wirklich ablenken?
    »Kann ich, äh … helfen?«
    »Danke, mein Freund«, entgegnete Stanhope und war nicht einmal außer Atem. »Aber ich denke, das wird nicht nötig sein. Machen Sie es sich gemütlich und genießen Sie die Vorstellung – solange sie noch währt!« Dabei führte er drei tückische Hiebe gegen Kala, denen dieser nur mit Mühe entging. Einmal streifte die Säbelspitze seine Stirn und hinterließ einen dünnen Blutfaden.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte ich eine Bewegung. Weiter links huschte ein Schemen an den beiden Toten vorüber. Jade ergriff einen Säbel.
    Im selben Augenblick gelang es Stanhope, die Abwehr des Fakirs zu durchstoßen. Nicht einmal, gleich zweimal stach er zu. Beide Male bohrte sich die Säbelspitze in den Magen des Alten. Kala verlor den Madu aus den Händen und brach stöhnend in die Knie. Stanhope warf mir ein strahlendes Lächeln zu, dann holte er aus, um dem Fakir den Garaus zu machen.
    »Stanhope!«, schrie in diesem Moment die Prinzessin, und ehe der Lord sich noch umdrehen konnte, war sie bereits heran. Ihr Säbel raste auf seinen Rücken zu. Stanhope ließ sich zur Seite fallen und entging dem Tod um Haaresbreite. Jade setzte nach, Stanhope parierte im Liegen, dann rollte er sich herum und sprang auf die Beine.
    »Mir scheint, unsere Flucht verzögert sich«, rief der Lord mir zu. Er schien immer noch anzunehmen, ich sei ebenso ein Gefangener der Inder wie er selbst. Und hatte er damit nicht sogar Recht? Nein, Jade hatte gesagt, es stünde mir frei zu gehen. Herrgott, welch ein Zwiespalt!
    Funken sprühten, als die Säbel der beiden Kontrahenten aufeinander klirrten. Kala kniete immer noch vornübergebeugt am Boden und hielt sich mit beiden Händen den Bauch. Hustend spuckte er Blut in den Schnee.
    Jade tat ihr Bestes, Stanhope aus der Reichweite des verletzten Alten zu drängen. Meine Vermutung war richtig gewesen: Sie war eine großartige Fechterin. Trotzdem schien Stanhope noch um eine Spur geschickter, um eine Winzigkeit flinker. Seine einzige Schwäche war, dass er die geraden Armeesäbel der abendländischen Infanterie gewohnt war, nicht die krummen Klingen der Inder. Die Waffe, mit der er nun kämpfte, hatte einem seiner Bewacher gehört; der unvertraute Umgang damit schien seine sonstige Überlegenheit wettzumachen.
    Während die beiden wie die Teufel aufeinander einhieben und dabei kunstvolle Pirouetten wie rivalisierende Tänzer zu drehen schienen, näherte ich mich Schritt um Schritt dem Fakir. An seiner Lage hatte sich nichts geändert. Immer noch hustete er Blut. Ich hätte mich sehr täuschen müssen, sollten Stanhopes Treffer nicht tödlich gewesen sein. Als Fakir vermochte der Alte den Schmerz zu verdrängen, dem Tod aber war er zweifellos nicht gewachsen.
    Das Klirren der Säbel hallte über die Lichtung und brach sich an den hohen Mauern der Ruine. Auf ihren Kuppen hatten sich wie aufgeregte Zuschauer Krähen eingefunden, die den Kampf beobachteten und krächzend seinem Ende entgegensahen. Frisches Fleisch war um diese Jahreszeit keine leichte Beute in den Wäldern.
    Ich blieb vor Kala stehen, wagte aber nicht, mich herabzubeugen, aus Furcht, Stanhope könne es bemerken und es als Verrat auslegen.
    Ein besonders grelles Kreischen der Säbel zog meinen Blick zurück auf die Duellanten. Sie waren wieder näher gekommen, waren höchstens noch fünf Schritte entfernt. Ich sah gerade noch, wie Jades Waffe in der Dunkelheit davonwirbelte. Sie selbst stolperte unter der Wucht des gegnerischen Angriffs und knickte mit dem linken Knie ein. Stanhope grinste erfreut; offenbar hatte er nicht mit einem so raschen Ende des Kampfes gerechnet.
    »Gut, gleich ist es so weit«, stieß er aus, nun doch ein wenig atemlos. Offenbar sprach er mit mir.
    Jade funkelte ihn trotzig aus ihren braunen Augen an, erwartete tapfer den Todesstoß. Stanhope holte aus – und im selben Moment war ich mit dem Madu heran und zog es ihm von hinten über den Schädel! Die Antilopenhörner vibrierten in meinen Händen, während Stanhope aufschrie. Gleichzeitig warf Jade sich nach

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