Die wir am meisten lieben - Roman
saugten sich voll, und schon bald stand er in einer kleinen Pfütze. Judd ließ seinen Arm los und postierte sich neben Critchley, ihre beiden Gesichter leuchteten vor Entzücken und Ekel.
»Igitt!«
»Ist ja
widerlich
. Klotzjunge, du bist
widerlich
. Was bist du?«
Tommy antwortete nicht. Judd packte ihn am Ohr.
»Was
bist
du?«
»Widerlich«, sagte Tommy leise und versuchte, nicht zu wimmern.
»Richtig.
Widerlich
.«
Schritte kamen den Korridor entlang. Dem gewichtigen |36| Klang des Metalls am Absatz nach zu urteilen, war es ein Lehrer.
»Ein Wort, dass wir hier sind, Klotzjunge, und du bist tot. Klar?«
Tommy nickte, und die beiden Jungen schossen an ihm vorbei und verschwanden im Duschraum nebenan.
Tommy blieb stehen. Die Schritte kamen näher und hielten inne. Das freundliche und rötliche Gesicht von Mr. Laurence, der Englisch und Latein unterrichtete, erschien in der offenen Tür.
»Hallo, wen haben wir denn hier?«
»Bedford, Sir.«
»Bedford.«
»Ja, Sir.«
Mr. Lawrence blickte auf die Pfütze zu Tommys Füßen.
»Hm. Dumm gelaufen, alter Junge. Machen wir dich sauber, ja?«
Fünfzehn Minuten später begleitete Mr. Lawrence Tommy, der jetzt in einer riesigen ausgeliehenen Shorts steckte, auf das matschige Spielfeld. Es fing an zu regnen. Mr. Lawrence unterhielt sich kurz mit Mr. Brent. Der nickte und schnauzte Tommy an, nicht wieder zu spät zu kommen. Dann nahm er sich einen anderen Jungen vor, der sein Hemd nicht ordentlich in die Hose gesteckt hatte. Tommy musste zu Tode erschrocken ausgesehen haben, denn Mr. Lawrence legte ihm die Hand auf die Schulter und zwinkerte.
»Semper fortis, Bedford«, sagte er leise. »Semper fortis.«
»Sir.«
Mr. Brent blies in seine Trillerpfeife. Die nächsten neunzig Minuten lang mussten Tommy und ein Dutzend anderer Achtjähriger im eisigen Wind über das schlammige Spielfeld laufen und wurden von Mr. Brent tyrannisiert.
|37| Zehn Jahre schienen vergangen zu sein, seit Tommy auf dem Vorplatz seinen Eltern und Diane zum Abschied gewinkt hatte. Er hatte noch immer das verzweifelte Gesicht seiner Schwester vor Augen, die durch die Heckscheibe aus dem sich entfernenden Rover zurückgeblickt hatte. Das alles hatte sie mehr mitgenommen als ihre Eltern und Tommy. Die neuen Jungen hatten sich eine Stunde vor den älteren bei der Schule melden müssen. Tommy hatte zusammen mit seinem Vater und Diane den schweren Koffer in die Halle geschleppt, wo Mr. und Mrs. Rawlston, der Direktor und seine Frau, mit den Eltern plauderten. Als sie an die Reihe kamen, gab sein Vater ihnen seinen festen Händedruck (vielleicht einen freimaurerischen), und Tommy bemerkte, dass Mrs. Rawlston ein wenig zusammenzuckte. Diane gab niemandem die Hand. Sie weinte zu sehr.
»Also gut, Tommy«, sagte sein Vater. »Wir gehen jetzt.«
Er streckte Tommy die Hand entgegen, und Tommy machte sich auf den Händedruck gefasst. »Viel Glück, alter Junge.«
Dann hatte seine Mutter Tränen in den Augen. Noch nie zuvor hatte er sie weinen sehen. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Tommy biss sich auf die Lippe. Sein Vater hatte ihm mehrmals gesagt,
flennen
sei keine gute Idee.
»Die Hausmutter hat die Klötze«, flüsterte seine Mutter. »Pass auf, dass sie sie nicht vergisst.«
»Mach ich.«
Erst als Diane ihn in den Arm nahm, verlor er die Fassung und brach in Tränen aus. Sie schluchzte, ihr Gesicht war verschmiert von verlaufener Wimperntusche.
»Komm schon, alter Junge«, sagte sein Vater und blickte sich um. »Hören wir auf damit.«
Als alle Eltern fort waren, wurden die Neulinge wie eine Herde Schafe in den Speisesaal getrieben. Tee mit der Hausmutter. Ungefähr zwanzig Knaben. Manche schnieften noch, andere hatten vor Furcht große Augen. Sie sollten sich alle um |38| einen langen Tisch stellen, auf dem Teller mit Sandwiches und entsetzlich gelbem Obstkuchen standen. Miss Davis, die Hausmutter, war klein und drall und trug eine blaue Uniform und eine runde Brille, durch deren dicke Gläser ihre Augen riesig und grimmig wirkten. Damit und mit den gestärkten Flügeln ihrer Haube sah sie aus wie ein übergewichtiger Raubvogel, kurz bevor er auf seine Beute niederstürzt. Sie nahm an der Stirnseite des Tisches Platz, senkte den Kopf und faltete die Hände. Tommy konnte an ihrem Kinn lange Haare erkennen.
»Möge Gott uns mit wahrem Dank erfüllen«, sagte sie in breitem Walisisch. »Amen.«
Ein oder zwei murmelten
Amen
. Aber das reichte der Hausmutter nicht. Alle mussten
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