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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Spaß machte, den Neulingen Angst einzujagen. Dickie würde seinen Morgenmantel ausziehen und sich über die Holzbank beugen müssen, bis seine Nase das Drahtgeflecht von einem der Schränke berührte. Dann würde Mr. Brent, die Ärmel hochgekrempelt, zuerst mit dem Hacken seines roten Pantoffels in seine flache Hand schlagen, damit man einen Vorgeschmack auf das bekam, was folgen würde. Man wusste bis zum Schluss nicht, wie viele Schläge einen erwarteten. Meistens drei, vier oder sechs. Je nachdem, wie schwer das Vergehen war.
    Die Stille in der oberen Etage des Schulgebäudes schien vor Angst und Faszination zu vibrieren. Alle Jungen in sämtlichen Schlafsälen waren Ohr. Sie alle vernahmen das entfernte Zuschlagen der Tür vom Umkleideraum. Tommy hielt den Atem an. Es folgte eine lange Pause. Dann der erste gedämpfte Schlag. |44| In der Sicherheit ihrer Betten zuckten sie zusammen und zählten leise mit.
    Eins, zwei …
    Manchmal, wenn das Opfer jung war oder nicht tapfer genug, hörte man lautes Aufschreien. Aber nicht heute Nacht.
    Drei, vier …
    Tommy wusste nicht, ob es einen Gott gab, trotzdem fing er an zu beten. Und nicht nur für Dickie und dass er den Schmerz ertrüge, sondern auch, dass er ihm vergebe und sein Freund bleibe …
    Fünf, sechs.
    Ruhe. Die Zuhörer atmeten auf.
    Gleich würde Dickie den Morgenmantel überziehen und die letzte Erniedrigung über sich ergehen lassen müssen: Die Hand des Windhunds schütteln. Ihn freisprechen, ihm danken für seine Mühe.
    Als Dickie zurück in den Schlafsaal kam, sagte er kein Wort. Es waren ein paar geflüsterte »Dumm gelaufen« und »Gut gemacht« zu hören. Ein Idiot fragte ihn sogar, wie er sich fühlte. Aber Dickie antwortete nicht, kletterte nur in sein Bett, drehte sich auf die Seite und zog die Decke über den Kopf. Tommy konnte nicht feststellen, ob er weinte. Keiner sprach. Dann, aus dem Dunkel von der anderen Seite des Raumes, hörte er Pettifers giftiges Flüstern:
    »Du hättest da unten sein sollen, Klotzjunge.«
    In dieser Nacht machte Tommy ins Bett. Es war kurz nach drei Uhr, er lag schluchzend in der feuchten Wärme und wusste nicht, was er tun sollte. So leise er konnte, zog er das Laken ab und ging auf Zehenspitzen ins Badezimmer. Bei jedem Knarren der Dielen zuckte er zusammen. Er traute sich nicht, das Licht anzuschalten, und wusch das Laken in einer der großen gusseisernen Badewannen aus. Das Gleiche machte er mit seiner Schlafanzughose und wrang sie aus, so gut er konnte. Anschließend |45| ging er auf Zehenspitzen wieder zurück in den Schlafsaal und bezog sein Bett neu. Wenn einer der Jungen sich im Schlaf bewegte, erstarrte er und traute sich kaum zu atmen. Er spähte zu den anderen Betten hinüber, ob jemand wach war und ihn beobachtete. Dann kletterte er zurück in sein Bett und verbrachte den Rest der Nacht zitternd, aufgewühlt und angsterfüllt. Vielleicht würde es niemand bemerken.
    Zum morgendlichen Programm gehörte, dass die Jungen vor dem Frühstück die Oberlaken zum Auslüften zurückschlugen. Der gelbe nasse Fleck war nicht zu übersehen und für die anderen ebenso faszinierend wie die Blutflecken an Dickie Jessops Schlafanzughose. Bei Dickie war es ein Ausweis von Mut – bei Tommy von Schande. Pettifer bemerkte den Flecken zuerst. Er hielt sich die Nase im Vorbeigehen zu.
    »Verdammt, Klotzjunge, was für ein Gestank! Ekelhaft.«
    Tommy machte auch in der folgenden Nacht ins Bett und jede weitere, eine ganze Woche lang. Keiner nannte ihn mehr Klotzjunge. Nicht aus Angst vor Vergeltung durch Dickie Jessop. Der ignorierte ihn. Jemand war einfach auf einen besseren Spitznamen gekommen, einen, der auf der Hand lag. Eines Morgens war er auf seiner Kiste zu lesen, wie der Zusatz zu seinem richtigen Namen.
    Für alle in Ashlawn war er von nun an nicht länger Bedford, sondern
Bettnässer
.

|46| DREI
    Tom bereute sogleich, dass er überhaupt hergekommen war. Er hatte den Mann noch nie gemocht. Noch weniger den Neid, der ihn überkam, wenn er ihn sah. Manche Leute holten das Schlechteste aus einem heraus. Truscott Hooper, Freunde, aber auch Speichellecker – beide waren an diesem Abend anwesend –, nannten ihn einfach Troop, saß in einer Ecke in dem vollen Saal an einem Tisch und signierte Bücher. Bewundernde Fans standen Schlange, manche kannte Tom. Sie sollten es doch eigentlich besser wissen.
    Troop war auf Lesereise, er schlug die Werbetrommel für seinen neuen Bestseller, einen Thriller, der im Irak nach dem

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