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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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es wiederholen.
    »Und zwar so, als ob ihr es auch meint.«
    Danach durften sie sich setzen.
    »Langt zu, Jungs.«
    Es gab Wasser, Milch oder Tee aus einer riesigen Kanne zur Auswahl. Tommy entschied sich für Milch.
    Zwanzig Minuten lang gab keiner ein Wort von sich. Nicht einmal die Hausmutter. Sie blickte immer wieder auf ihre kleine Uhr, die an ihrem Busen steckte. Vom Korridor her konnten sie die Stimmen der älteren Knaben hören. Sie klangen glücklich, wieder da zu sein. Das fand Tommy erstaunlich und auch ermutigend. Er musterte die anderen Neulinge. Keiner von ihnen schien hungrig zu sein. Die meisten starrten nur auf ihre Teller. Der Junge neben ihm weinte weiter. Er hatte ein rundliches rosiges Gesicht, dunkle Locken und eine Brille mit einem rosa Rahmen. Das linke Glas war mattiert, so dass man das Auge nicht sehen konnte. Auf dem durchweichten Taschentuch stand sein Name,
WADLOW, P
. Sein Schluchzen war laut und heftig, und bald hatte er die ganze Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.
    »Still jetzt, Junge«, schalt die Hausmutter ihn sanft. »Es reicht. Iss dein Sandwich.«
    |39| Wadlow gehorchte, weinte aber weiter, nur etwas leiser. Der Junge, der Tommy gegenübersaß, grinste. Er hatte Sommersprossen und rotes Haar und war offensichtlich der Einzige am Tisch, der seinen Spaß hatte. Er aß schon sein viertes Sandwich, zwinkerte Tommy zu, und Tommy, der diese Kunst nicht beherrschte, lächelte gezwungen. Gerade, als er dachte, er habe vielleicht einen Freund gefunden, gab Wadlow plötzlich ein gurgelndes Geräusch von sich, lehnte sich vor und erbrach sich spektakulär auf den Tisch. Ein Dutzend andere Jungen fing im selben Moment erneut zu weinen an.
    Der Rothaarige hieß Dickie Jessop. Er und Tommy waren im selben Schlafsaal untergebracht und besuchten dieselbe Klasse. Tommy war froh darüber. In den nächsten zwei Tagen wurden die beiden Freunde. Dickies Eltern lebten in Hongkong, er sah sie nur einmal im Jahr, wenn er im Sommer zu ihnen flog. Seit seinem fünften Lebensjahr hatte er die verschiedensten Internate von innen gesehen, und nach einem Tag sagte er Tommy, dass Ashlawn nur halb so schlimm war wie andere. Dickie war lustig, er erzählte immerzu Witze und hatte offenbar vor niemandem Angst. Manchen Lehrern und älteren Jungen gegenüber war er vorlaut, hatte aber so viel Charme, dass sie darüber hinwegsahen. Das Beste allerdings war: Er begeisterte sich für Western und kannte sich fast so gut aus wie Tommy. Tommy fragte ihn, wer sein Lieblingscowboy sei, und ohne Zögern antwortete Dickie: Flint McCullough aus
Wagon Train
. Darauf schlugen sie ein.
    Am dritten Tag zur Teestunde nach dem Rugby erzählte Tommy ihm leise von seiner Begegnung mit Critchley und Judd in der Umkleidekabine. Dass er sich in die Hose gemacht hatte, verschwieg er. Stattdessen gab er vor, mutiger gehandelt zu haben, als er es in Wirklichkeit getan hatte.
    Dickie hörte ihm zu und nickte dann ernst.
    »Die holen wir uns«, sagte er.
    |40| »Das ist keine so gute Idee, glaube ich.«
    »Keine Sorge. Du musst es nicht tun. Ich werde es tun.«
    Tommy blieb in jener Nacht trocken. Das war die vierte. Noch nie hatte er es so lange geschafft, und er war vorsichtig optimistisch. Sein nächtliches Stoßgebet
Ich werde nicht einpinkeln
hatte er auf zweihundert erhöht. Es schien zu funktionieren. Nach dem Frühstück, als er sich im Zimmer der Hausmutter seine tägliche Portion Lebertran abholte, lächelte sie ihn beinahe an.
    »Gut gemacht, Junge«, sagte sie. »Weiter so.«
    Eine Woche … Wenn er es eine Woche schaffte, dann vielleicht für immer. Eine Nacht nach der anderen, sagte er sich.
    Einige Jungen aus seinem Schlafsaal machten Bemerkungen über die Holzklötze. Pettifer, der anscheinend eifersüchtig auf seine Freundschaft mit Dickie war, hatte sich den Namen
Klotzjunge
ausgedacht. Dickie sprang ihm an die Kehle, drückte ihn an die Wand und drohte ihm grauenerregende Konsequenzen an, wenn er das noch einmal sagte.
    Der Schlafsaal war lang und eng mit sechzehn Eisenbetten, acht auf jeder Seite, alle mit den gleichen roten Wolldecken. Jeder besaß einen Haken für den Morgenmantel und einen Metallstuhl, auf dem die Kleidung ordentlich zusammengefaltet zu liegen hatte. Tommys Bett befand sich gleich an der Tür, und darum oblag es ihm,
Schmiere
zu stehen und Alarm zu schlagen, sobald sich die Hausmutter oder »Whippet« oder »Windhund« Brent näherte.
    Alle Lehrer hatten Spitznamen: Mr. Rawlston, der Schulleiter, war

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