Die wir am meisten lieben - Roman
dorthin. Diane fand einen kompletten Zehenknochen eines Velociraptors, wie sie später in einem von Johns Nachschlagewerken nachlasen. Sie schenkte ihn Tommy. Auf dem Weg nach Hause – Tommy war vorgeritten – unterhielten sich Cal und Diane über Kuba und die Wortgefechte zwischen Präsident Kennedy und Chruschtschow.
»Trotzdem«, sagte Diane. »Hier sind wir sicher. Niemand wirft eine Bombe auf Montana.«
»Komm mit«, sagte Cal. »Ich will dir etwas zeigen.«
Er rief Tommy, und sie lenkten die Pferde in leichtem Galopp über die Kuppe eines Hügels und hinab in hügeliges Grasland, das Diane noch nie zuvor gesehen hatte. Eine milchige Sonne versank am Horizont. Die langen Schatten der Pferde waren wie Trugbilder auf dem ausgeblichenen Gras. Diane fragte sich, wohin Cal sie führte. Mitten im Niemandsland erreichten sie einen mit einer Kette verschlossenen Zaun mit Stacheldraht. Schilder mit der Aufschrift
Betreten verboten
standen überall. Durch den Draht sah man Zementdeckel auf dem Boden und Schienen, auf denen sie zur Seite geschoben werden konnten. An den Ecken des Zauns waren Kameras befestigt.
»Das ist ein Raketensilo. Gibt hier jede Menge davon. Gerade erst gebaut.«
Diese Silos beherbergten gigantische Raketen, sogenannte
Minutemen,
die fünftausend Meilen weit fliegen könnten, jede sei mit einem Atomsprengkopf von einer Megatonne bestückt, sagte Cal. Im vergangenen Jahr habe er eines Nachts starke |333| Scheinwerfer gesehen und sei losgeritten. Dann habe er einen Kran beobachtet, der die Raketen in den Boden ließ.
»Sind da unten Menschen, die sie abfeuern?«, fragte Tommy.
»Nein, man sagt, der rote Knopf befindet sich in Great Falls in Malmstrom.«
»Wird Mr. Kennedy herkommen und ihn drücken?«
»Ich nehme an, er wird jemanden über eine Sonderleitung anrufen und den Befehl dazu geben.«
Ein kalter Wind wehte böig.
»Vielleicht ist das den Dinosauriern zugestoßen.«
Cal lachte und sagte, es gebe keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Nichts werde passieren. Diese Silos hier sollten ihnen allen ein Gefühl der Sicherheit geben.
Eine Woche später fiel der erste Schnee. Über Nacht, nur ein paar Zentimeter, und als es dämmerte, klärte sich der Himmel auf und zeigte die Welt neu. Als Tommy in der Schule war, ritten Cal und Diane zu den Gebirgsausläufern. Auf einem Felsvorsprung kamen die Pferde zum Stehen, in der Ferne röhrte ein Elch. Am kristallklaren Himmel flog ein Schwarm Wildgänse gen Süden.
»Ich könnte mich an diesen Ort gewöhnen«, sagte Diane. »Warum tust du es dann nicht?«
»Ach, Cal.«
»Zum Teufel, Tommy fühlt sich schon wie zu Hause. Es wird nicht leicht sein, ihn von hier wegzubekommen.«
»Ich weiß.«
Sie schwiegen eine Weile. Der Atem der Pferde kräuselte sich in der eisigen Luft.
»Cal, ich muss dich etwas fragen.«
»Die Antwort lautet ja.«
»Ich meine es ernst.«
»Ich auch.«
»Es ist nur … Wenn mir irgendetwas zustoßen sollte … Ich |334| sähe es nicht gerne, wenn Ray Tommy zu sich nähme. Würdest du dich um ihn kümmern?«
»Selbstverständlich.«
Diane beugte sich zu ihm und küsste ihn.
Eine Woche später fuhren Diane und Cal in die Stadt in das Büro des Familienanwalts der Matthiesons. Alfred Cobb, ein Veteran aus dem Ersten Weltkrieg mit wachen Augen, hatte die Papiere vorbereitet. Vor einem Kaminfeuer saßen Diane und Cal an einem breiten Eichentisch und unterschrieben. Im Falle von Dianes Tod erklärte Cal sich bereit, Tommy zu adoptieren und für ihn zu sorgen.
Ende Oktober, zwei Tage nachdem die Welt wegen der Kubakrise um Haaresbreite einem Krieg entronnen war, brachte ein junger Mann ein Telegramm für Diane. Ihr Agent Julian Baverstock telegrafierte aus London:
DEIN VATER SCHWER KRANK. KOMM SO SCHNELL WIE MÖGLICH.
|335| ACHTUNDZWANZIG
Es war das letzte Abendessen – oder, wie Dutch es weniger taktvoll bezeichnete, das letzte Abendmahl – im
Marco’s
. Sie saßen am Tisch mit dem rotweißkarierten Tischtuch und der altmodischen Petroleumlampe in ihrer Nische und versuchten, nicht alles zu düster zu sehen. Morgen sollte der letzte Tag der Anhörung sein. Die Aussicht, dass sie zu Dannys Gunsten verlief, war gering. Nachmittags hatte Brian McKnight Tom gewarnt, dass Gina und Dutch mit dem Schlimmsten rechnen sollten. Er sagte, in Anbetracht der Beweislage hätte Colonel Scrase gar keine andere Wahl, als Danny vor ein Militärgericht zu stellen.
McKnight hatte versprochen, sich zum Abendessen zu ihnen zu
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