Die wir am meisten lieben - Roman
lachen und wurde verlegen.
John und Rose Matthieson waren ebenso liebevoll und sanftmütig wie Cal. Sie nahmen sie auf, als gehörten sie zur Familie. John war hochgewachsen und knochig und lief am Stock. Er trug eine schwere Tweedweste und Hemden ohne Kragen und erinnerte Tommy an seinen Großvater. Rose – ihr Blackfeetname war Little Calf – war gute fünfzehn Zentimeter kleiner als Tommy. Sie hatte freundliche, rabenschwarze Augen und langes, schwarzes Haar, das sie zu einem Zopf flocht, der ihr bis zur Taille reichte. Sie sprach nicht viel, lächelte jedoch immer.
Das Land um die Ranch war flach und mit Buschwerk bewachsen. Der Blick auf die Rocky Mountains etwa zwanzig Meilen weiter westlich war atemberaubend. Eine gigantische Felswand, |325| die rosa schimmerte, wenn die Sonne aufging, und lila, wenn sie unterging. Tommy stellte sich vor, sie seien dort hingestellt worden, um alles Böse in der Welt zu bannen.
Das Farmhaus war klein und bescheiden. Eine halbe Meile die Schotterstraße entlang, die zu den Bergen führte, hatte Cal vor kurzem eine kleine Blockhütte für sich hergerichtet. Dort, so beharrte er, könnten sie bleiben. Er habe noch sein altes Zimmer im Farmhaus und sei gerne dort.
»Achtet auf die Grizzlybären«, sagte er, als er sie herumführte.
»Du machst Witze«, sagte Diane.
»Stimmt. Die Bären schlafen jetzt. Aber im April wachen sie auf und kommen herunter. Man muss nur die Augen offenhalten.«
»Oh, so lange werden wir nicht bleiben.«
»Ich hoffe sehr, dass du es doch tust. Es gibt eine Menge Arbeit, und ich zähle auf Tommys Hilfe.«
Am ersten Nachmittag half Tommy, Heu auf den Laster zu laden, und sie fuhren hinaus auf die Weide zu den Pferden, die in leichtem Galopp durch den Schnee auf sie zukamen und sie begrüßten. Chesters Fell war zottig, er wieherte und stupste mit der Nase an Tommys Schulter. Cal meinte, so zeige das Pony, dass es ihn wiedererkenne.
Diane nahm Tommy das Versprechen ab, kein Wort über die Sache mit Ray zu verlieren. Sie würde Cal alles sagen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, und bis dahin sollten sie so tun, als sei es nur ein verlängerter Urlaub, ein Überraschungsbesuch.
Der Schnee schmolz, und die Welt verwandelte sich. Die Wiesen füllten sich mit Wildblumen, die Pferde verloren ihr Winterfell und schimmerten wie Satin in der Frühlingssonne. Tommy besuchte eine Schule in Choteau und lernte neue Kinder kennen. Eines Tages sahen sie einen Film, in dem gezeigt |326| wurde, wie man sich im Falle eines atomaren Angriffs verhalten sollte. Offenbar war es äußerst wichtig, nicht in Panik zu geraten. In jedem Klassenzimmer gab es eine Gegensprechanlage, und sobald der Direktor den Knopf in seinem Büro drückte und der Alarm losging, musste man unter den Tisch kriechen, die Augen schließen und die Arme über dem Kopf verschränken.
Nachmittags und am Wochenende halfen Tommy und Diane auf der Ranch und ritten aus. Die Matthiesons hatten etwa hundert Rinder – Herefords –, und Cal brachte Tommy bei, wie man sie mit dem Lasso einfing und zwischen ihnen hindurchritt. Ende April kamen die Nachbarn und halfen bei der Markierung der Kälber. Danach setzten sich alle an einen langen Tisch vor der Scheune, und es gab ein wunderbares Mahl, das Rose und Diane zubereitet hatten.
Rose fand es komisch, dass Tommy ein paar Worte Blackfeet sprach. Sie hatte ein hell klingendes Lachen, das ansteckend war. Jeden Abend aßen sie gemeinsam im Farmhaus. Tommy half Rose (oder stand mehr im Weg) beim Kochen, und sie musste von ihren Eltern erzählen und wie es war, in einem Reservat aufzuwachsen.
»Oh, das willst du nicht wissen«, sagte sie stets. Und Tommy sagte, er wolle es aber gerne wissen, und löcherte sie, bis sie ihm eine neue Geschichte erzählte.
An einem Wochenende im Juli fuhren sie zusammen zum Reservat in Browning zu einer Zeremonie, bei der alle Federschmuck trugen, tanzten und sangen. Sie trafen Roses Bruder und dessen Kinder, die viel Aufhebens um Tommy machten und wollten, dass er in ihrer Sprache redete.
Wann und wie es genau passierte, konnte Tommy später nicht mehr sagen. Entweder war er zu klein, um die Zeichen zu deuten, oder, und das war wahrscheinlicher, Diane und Cal hatten sich gut verstellt. Aber irgendwann in dem Sommer war klar, |327| dass sie mehr als nur Freunde waren. Die Abende wurden wärmer, und wenn Tommy im Bett lag, saßen sie auf der kleinen Veranda hinter der Blockhütte und sahen zu, wie die Sonne
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