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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Zuerst hatte Tommy angenommen, sie sei mit Miguel verheiratet. Aber das war sie nicht. Sie bewohnte ein winziges Zimmer in dem Korridor zwischen Garage und Küche. Dort hing ein hübsches Bild von der Jungfrau Maria und ihrem Kind Jesus, daneben Fotos von ihrem eigenen Sohn, der komischerweise auch Jesus hieß. Dolores sagte, er lebe bei seinen Großeltern in Mexiko City. Tommy erwiderte, in England habe er auch bei seinen Großeltern gewohnt.
    Als es Zeit war für Ray und Diane zu gehen, saß er schon in Schlafanzug und Bademantel im Wohnzimmer vor dem Fernseher, aß sein Abendbrot von einem Tablett und sah
I love Lucy.
Er hatte die Serie schon in England gesehen. So lustig wie das Publikum fand er die Sendung nicht. Die Leute schrien vor Lachen bei allem, was gesagt wurde.
    Aus dem Flur hörte er ein Geräusch, und durch die große Doppeltür sah er Diane und Ray die weite Treppe hinunterkommen. Sie sahen toll aus. Ray hatte einen schwarzen Anzug mit langer Jacke an und eine Krawatte wie Bret Maverick, nur hatte er einen Totenkopf auf dem Knoten. Sein Haar hatte er mit Pomade zurückgekämmt. Er winkte Tommy zu und wartete im Flur. Diane kam herein. Sie trug ein trägerloses silberfarbenes Kleid, das bei jeder Bewegung schimmerte. Sie hatte das Haar hochgesteckt, ihre Lippen waren rot geschminkt. Sie fasste Tommy bei den Schultern und gab ihm einen Kuss.
    »Gute Nacht, mein Liebling. Sei ein guter Junge.«
    »Werden viele Filmstars auf der Party sein?«
    »Ich denke schon.«
    »Aber du bist die Allerschönste.«
    Diane lachte und gab ihm noch einen Kuss.
    »Du bist so lieb. Oh, Schatz, jetzt habe ich dich mit Lippenstift beschmiert.«
    »Ist mir egal. Viel Spaß.«
    »Gute Nacht, mein Schatz. Ich habe dich lieb.«
    |138| »Ich dich auch.«
    Die Tür fiel ins Schloss. Tommy ging ans Fenster. Eine lange schwarze Limousine wartete neben der Pferdestatue, ein Chauffeur hielt die hintere Tür auf. Diane blickte zurück, als wüsste sie, dass Tommy sie beobachtete, und warf ihm einen Kuss zu, dann stieg sie ein. Der Chauffeur schloss den Wagenschlag, stieg ebenfalls ein, und der Wagen fuhr langsam an. Die Fensterscheiben waren abgedunkelt. Tommy konnte niemanden mehr sehen. Er winkte trotzdem und wartete, bis der Wagen außer Sichtweite war.

|139| ELF
    Ihre Wirkung auf Männer betrachtete Diane durchaus ambivalent. Sie hatte herausgefunden, dass sie, wenn sie einen Mann auf bestimmte Weise anschaute, ihm in einem besonderen Augenblick mit wissender Eindringlichkeit in die Augen blickte, in seinen Kopf eindringen und ihn binnen kürzester Zeit in einen Zustand der Kindlichkeit versetzen konnte. Das war kein Trick, den sie auf der Schauspielschule in London gelernt hatte oder später im Theater, wo sie nicht die Anfängerrollen, diese namenlosen, schweigenden Hofdamen spielen musste, sondern gleich eine Sprechrolle bekommen hatte. Die Gabe, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, war angeboren, von irgendeinem Vorfahren geerbt, jedenfalls mit Sicherheit nicht von ihren Eltern.
    Es dauerte ein paar Jahre, die Kehrseite der Medaille zu erkennen, dass heterosexuelle Männer, sosehr sie ihr auch versicherten, Freunde sein zu wollen, letztlich immer nur an Sex interessiert waren. Dianes Vergnügen an dem Gefühl der Macht, das ihr das verschaffte, wurde getrübt von der Enttäuschung, dass Männer auf so tragische und vorhersagbare Weise primitiv waren.
    Sie war sich darüber im Klaren, dass diejenigen, die glaubten, sie zu kennen, der Ansicht waren – sogar einige ihrer besten Freunde in London –, sie wechsle häufig den Partner, weil sie gern flirtete und ihre Wirkung auf Männer genoss. Aber so war es nicht. Seit Tommys Geburt vor fünf Jahren stieß sie schon der Gedanke ab, den Akt mit jemandem zu wiederholen, den sie mit David Willis im Farnkraut gemacht hatte. Nicht, weil der |140| Akt selber sich als wenig leidenschaftlich entpuppt hatte. Auch nicht, weil ihre Erinnerung an die traumatischen Konsequenzen zu verworren war. Es war mehr das Gefühl der Verantwortung gegenüber Tommy, ein Gefühl, dass es, trotz des Versteckspiels, das sie und ihre Eltern aus Angst vor einem Skandal aufführten, ein Verrat gegenüber ihrer Verantwortung als Mutter war, wenn sie einem Mann diese Nähe zugestand.
    Die Männer, die ihr in jenen Jahren den Hof gemacht hatten – meistens Schauspieler, Regisseure oder Produzenten, aber auch ein paar, die gar nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatten –, waren am Ende nicht selten verwirrt und

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