Die wir am meisten lieben - Roman
markante Gesichtszüge, sein Alter war schwer zu schätzen. Mitte dreißig, dachte sie. Eines war jedoch klar: Er |145| hatte Ausstrahlung, dieses lässige Selbstbewusstsein, das auf Diane schon immer anziehend gewirkt hatte.
Harry hatte eine kurze, amüsante Rede gehalten. Er sagte, wie begeistert und stolz er und die Mitarbeiter seiner Agentur seien, Englands neuen leuchtenden Stern zu vertreten, Miss
Umwerfend
(der Spitzname machte schon die Runde in der Branche), Diane Reed. Er hob sein Glas; alle klatschten, und Diane sagte ein paar angemessen bescheidene und charmante Worte – genau wie Audrey Hepburn es getan hätte. Als sie zu Ende gesprochen hatte, lächelte sie den Mann an der Tür an, warf ihm diesen wissenden Blick zu. Ray Montane erwiderte das Lächeln und erhob sein Glas zu einem ganz privaten Toast. Diane wurde, wie sie erschrocken feststellte, rot – seit ihrem zwölften Lebensjahr das erste Mal.
Am Ende der folgenden Woche, nach einer Serie von ausgiebigen Abendessen bei Ciro’s oder Romanoff ’s, Spaziergängen am Strand, Tanz im Mocambo und so vielen Rosen in ihrem Zimmer im Beverly Wilshire, dass es aussah wie in einem Gewächshaus, war Englands neuer und leuchtender Stern zum ersten Mal in ihrem Leben verliebt.
Ray hatte diesen altmodischen und unwiderstehlichen Charme eines Cowboys. Gleichzeitig kannte er sich mit Rock-’n’-Roll-Bands aus. Er war mit einigen von ihnen befreundet und hing mit ihnen herum. Er kannte sogar Jack Kerouac. Er war liebenswürdig und aufmerksam, interessant, und – das war wohl das Wichtigste – er brachte sie zum Lachen. Er war auch der vollkommene Liebhaber. Wenn sie sich liebten, lag darin manchmal ein Hauch von Bedrohung, und das erregte Diane.
An ihrem letzten Abend in Hollywood, auf der Terrasse seines luxuriösen Hauses in den Hügeln, unter dem Baum mit der Lichterkette, machte ihr Ray Montane einen Heiratsantrag. Und sie lehnte ab.
»Ist das ein Nein wie in ›Niemals‹?«
|146| »Nein. Nur wie in ›Nun‹.«
Sie saßen eng beieinander. Diane nahm seine Hand und sagte, sie habe ihm etwas Wichtiges zu sagen. Sie erzählte von Tommy. Ray hörte zu, ohne einmal seinen Blick von ihr abzuwenden. Als sie zum Ende kam – tränenüberströmt – und erklärte, es sei ihr Traum, dass sie eines Tages, bald, dem Jungen eine echte Mutter sein könnte, offen und ehrlich, für alle Welt zu sehen, und das für ihn tun, was sie all die Jahre hätte tun sollen, nahm Ray ihr Gesicht in seine großen gebräunten Hände und küsste ihre Tränen fort. Er sah ihr in die Augen und sagte einfach: »Was hält dich zurück? Machen wir’s. Jetzt sofort.«
Er erzählte, er sei einmal verheiratet gewesen, sei aber jetzt geschieden. Seine Frau, eine Schauspielerin namens Cheryl, leide an Depressionen. Er habe sich Kinder gewünscht, aber sie hätte keine gewollt. Sie hatte wieder geheiratet, hatte einen guten Psychiater und lebte jetzt, mehr oder weniger glücklich, in Oregon.
In den zwei Monaten, nachdem Diane Tommy offenbart hatte, sie sei seine Mutter, war Ray der starke und besonnene Mann an ihrer Seite. Er kehrte aus Los Angeles zurück, und sie mieteten ein Häuschen auf dem Land in der Nähe der Pinewood Studios. Zusammen lebten sie dort in einem Schwebezustand zwischen Glückseligkeit und Schmerz und warteten darauf, dass die Vorkehrungen für ihren Umzug nach Kalifornien abgeschlossen waren. Dianes Mutter machte es ihnen so schwierig wie möglich. Aber mit Hilfe von ein paar kostspieligen Londoner Anwälten und Rays Hartnäckigkeit schafften sie es schließlich. Erklärungen wurden unterzeichnet, damit Tommys Geburtsurkunde geändert werden konnte. Er bekam einen Pass und ein Visum für Amerika. Ray bestand darauf, alle Rechnungen zu bezahlen.
Entscheidend für Diane war, wie wunderbar er zu Tommy war, wie geduldig, liebevoll und humorvoll. Und nachdem der |147| Junge seine Schüchternheit überwunden hatte und den Schock, dass er mit einem seiner Fernsehhelden zusammenlebte, fing Tommy an aufzublühen. Vom Fenster des Häuschens sah Diane, wie Tommy und Ray lachten und herumalberten und im Garten Fangen spielten. Manchmal war es für sie so unbegreiflich, dass sie in Tränen ausbrechen wollte. Danach hatte sie sich gesehnt. Sie waren eine echte Familie. Da sie zu denen gehörte, die dachten, auf Sonnenschein folge Regen, fragte sie sich, ob sie zu vorschnell gehandelt hatte, ob ihr Schuldgefühl und ihr Wunsch, nur das Richtige für Tommy tun zu wollen, sie
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