Die Witwen von Paradise Bay - Roman
hoch. Ich blättere durch das Star Magazine und Us Weekly , um Mom auf den neuesten Stand über Beziehungsdramen und Babyglück zu bringen. Sie sagt nichts, sie zeigt keine Reaktion. Ich habe das Gefühl, zu einer Komapatientin zu sprechen.
Ich bin schon halb im Sessel neben ihrem Bett eingeschlafen, da öffnet sie endlich den Mund. »Wo ist Howie?« Sie klingt wie eine Betrunkene, die um vier Uhr morgens ein Taxi sucht. Ich glaube zumindest, dass sie mich nach Howie gefragt hat, sicher bin ich nicht. Ich bringe es aber auch nicht übers Herz, sie zu bitten, ihre Frage zu wiederholen. Es muss Mom unglaublich viel Kraft gekostet haben, überhaupt einige Worte zu äußern. Die Ärzte haben zwar gesagt, man müsse mit einem gewissen Gedächtnisverlust rechnen, aber niemals hätte ich erwartet, dass ihr ausgerechnet das als Erstes in den Sinn kommen und ihr wichtig genug sein könnte, um ihr Schweigen zu brechen.
»Howie?«, wiederhole ich unsicher. Sie nickt erwartungsvoll. Da ich es nicht ertrage, ihr ein zweites Mal zu erzählen, dass er mich verlassen hat, vor allem nicht unter diesen Umständen, und weil ich kaum fassen kann, dass dies dieselbe Frau ist, die alle so raffiniert getäuscht und davon überzeugt hat, er sei tot, lächle ich nur und versichere ihr: »Howie wird kommen. Sehr bald schon.«
Kapitel 25
Georgia
Ich bin schwanger und verängstigt. Ein Kind bedeutet, wieder einen Menschen in meinem Leben zu haben, den ich lieben kann, doch dieses Geschenk wird durch die Sorge getrübt, dass ich wieder einen geliebten Menschen verlieren könnte. Ich fühle mich so verletzlich wie damals, kurz nach Josephs Tod, dennoch betrachte ich meinen Körper und seine Fähigkeit, Leben hervorzubringen, voller Ehrfurcht.
Ich schließe die Augen. Ich male mir aus, wie mein Bauch ganz leicht schwillt und meine Haut schimmert, wie ich schwerfällig und dick werde. Meine Hände streicheln meinen Bauch. Ich sehe mich auch schon im Krankenhaus, Schweiß tropft mir von der Stirn, ich atme rhythmisch und presse das Kind aus meinem Leib. Und dann sehe ich Joseph an meiner Seite, der mir strahlend und staunend sagt, dass wir eine gesunde Tochter haben. Liegt es an der Morgenübelkeit oder dieser Vorstellung? Jedenfalls drängt es mich, mein Frühstück wieder von mir zu geben. Mit Sicherheit aber hat sich das Schicksal hier eine besondere Laune erlaubt. Ich trage nicht Josephs, sondern Freds Kind in mir. Bei dem Gedanken muss ich gleich wieder ins Badezimmer eilen.
Ich hatte schon vor langer Zeit den Traum aufgegeben, eines Tages Mutter zu werden. Nach Josephs Tod hatte ich gehofft, ich wäre vielleicht doch schwanger, wir hätten uns verrechnet und Joseph bliebe auf diese Weise bei mir. Dann setzte meine Periode aus. Es war mir ein unendlicher Trost, dass Joseph in all den wunderbaren Eigenschaften weiterleben würde, die unser Kind von ihm ererben würde. Sein genetischer Code würde sich in die blaugrünen Augen unserer Tochter oder die athletische Statur unseres Sohnes einschreiben. Und dann, eines Tages, erschien ein hellroter Fleck in meiner Unterhose. Ich war wegen einer Fehlgeburt in die Notaufnahme gefahren, doch der Arzt hatte mir nach der Untersuchung traurig in die Augen gesehen und gesagt, ich sei gar nicht schwanger gewesen. Meine Periode wäre durch den Stress und das traumatische Erlebnis, meinen Mann zu verlieren, ausgeblieben.
Dass ich jetzt schwanger bin, ist ganz und gar erstaunlich. Ich habe den Test drei Mal gemacht, zu unterschiedlichen Tageszeiten, doch das Ergebnis war immer dasselbe. Eine plötzliche Erschöpfung befällt mich, ich krieche ins Bett und schlafe weit über den Morgen hinaus.
Als ich am frühen Nachmittag wach werde, sind meine Sinne plötzlich geschärft. Ich höre das Rauschen des fernen Ozeans. Mein Schlafzimmer ist voller Eindrücke. Der Patchworkquilt erscheint mir in all seiner Farbigkeit, ich spüre die weichen Teppichfasern unter meinen Füßen. Ich weiß, was das bedeutet und was ich zu tun habe.
Ich gehe zu meinem Kleiderschrank und suche auf dem obersten Fach zwischen Decken und Kissen nach der alten hölzernen Schmuckschatulle. Sie schließt nicht mehr, so viele Papiere, Karten und Briefe liegen darin, die meisten in meiner präzisen Handschrift. Es hat am ersten Weihnachtsfest nach Josephs Tod begonnen. Ich war im Drogeriemarkt, hatte Deodorants gesucht, war dabei auf den Ständer mit den Grußkarten gestoßen und stehengeblieben. Mein Blick war auf eine Karte mit der
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