Die Witwen von Paradise Bay - Roman
Anrede Meinem geliebten Mann zu Weihnachten gefallen … Ich hatte sie in die Hand genommen, die bewegenden Worte im Innern gelesen und sie in meinen Einkaufskorb gelegt, zu einer Flasche Shampoo, einem Rasierer und einem Stück Seife. Zu Hause habe ich so getan, als würde Joseph noch leben, die Karte unterschrieben, den Umschlag mit Spucke zugeklebt, Josephs Namen darauf geschrieben und die Karte in die alte Schmuckschatulle gelegt.
Das Gleiche machte ich am Valentinstag, an seinem Geburtstag, zu Ostern, an unserem Hochzeitstag – und wieder zu Weihnachten. Im folgenden Jahr kaufte ich Karten zum Vatertag, denn mittlerweile hätten wir bestimmt ein Kind gehabt. Manchmal schrieb ich an Joseph so, als würde er noch leben, als wäre unser Leben weitergegangen und jener Tag niemals geschehen. Ein andermal schrieb ich ihm, als wäre er ein Geist oder bloß das Produkt meiner Fantasie.
Manchmal schrieb ich ihm kleine Liebesbriefe und schloss mit Küssen und Umarmungen, manchmal schrieb ich ihm, wie wütend ich auf ihn war, weil er mich alleingelassen hatte. Ich schrieb ihm, wie schwer es mir fiel, die Feiertage zu überstehen, und manchmal fragte ich ihn auch, ob es ihn je gegeben habe.
Ohne diese Briefe hätte ich all diese Tage nicht ertragen können. Wenn niemand bei mir war, stellte ich mir vor, wie Joseph meine Karten las. Manchmal lachte er über meine Worte, meistens schüttelte er nur traurig den Kopf. Was er wohl zu meinem letzten Brief sagen würde? Vielleicht wäre er traurig, aber auch erleichtert.
Ich nehme einen Bogen und beginne meinen letzten Brief an Joseph. Nachdem ich geendet habe, lege ich das Schreiben in das Kästchen, zu den anderen Karten und Briefen. Ich klemme mir die Schatulle unter den Arm, nehme meinen Mantel zum Schutz gegen die Kälte und fahre zum Friedhof. Es ist Anfang November und über Nacht eisig kalt geworden. Schnee liegt in der Luft. Meine Füße rascheln über trockenes Laub und künden von meinem Nahen, aber außer mir ist niemand da. Ich hole den letzten Brief heraus und lese ihn.
Lieber Joseph,
ich bin nun bereit, mich von Dir zu verabschieden. Lange habe ich dafür gebraucht, aber jemanden wie Dich gehen zu lassen, fällt schwer. Heute Morgen habe ich wieder im Bett gelegen und an Dich gedacht, wie so häufig, aber heute konnte ich mich nicht mehr erinnern, wie Du ausgesehen hast. Ich habe die Augen geschlossen und versucht, Dein Bild heraufzubeschwören, doch es war unscharf und verzerrt, und dann bist Du mir entschwunden, ganz friedlich. Danach habe ich zum ersten Mal alles deutlich wahrgenommen, als hätte sich Nebel gelichtet. Ich verstehe nun, dass ich mich nicht mehr unbedingt an alle Einzelheiten erinnern muss, solange ich mich an das Gefühl erinnere, bei Dir zu sein. Das werde ich immer in mir tragen, was auch geschieht. Ich werde Dich immer lieben.
Auf Wiedersehen, Joseph.
In Liebe,
Georgia
Ich stecke den Brief zurück in die Schatulle und lege sie auf Josephs Grab. Ich zünde ein Streichholz an. Rasch fängt das Holzkästchen Feuer, die Flammen verschlingen seinen Inhalt. Leichter Schneefall setzt ein, Wind kommt auf und wirbelt die Asche über den Friedhof. Ich wende mich zum Gehen, begleitet vom intensiven Geruch nach Fichte und verbranntem Holz.
Kapitel 26
Prissy
Ich füttere meine Mutter mit Grießbrei. Er gehört wahrlich nicht zu ihren Lieblingsspeisen, aber seine Konsistenz ist genau richtig, wenn man Essen, Kauen und Schlucken neu lernen muss. Ihre Zunge schiebt die körnige Masse im Mund herum und dann wieder heraus. Dass sie alles wieder ausspuckt, versetzt meinen Magen nicht in solchen Aufruhr, wohl aber der Anblick der sämigen Flüssigkeit, die sich in den Furchen ihrer faltigen Haut absetzt.
Die Wirkung ist die gleiche, die Gerald Cochrane in der vierten Klasse auf mich hatte, während ihm zwei Bäche grünlich-gelber Rotze aus der Nase liefen und auf die Lippe tropften. Doch erst, als er alles wieder hochzog, drehte sich mir der Magen um. Ich musste mich auf dem Schulhof übergeben und wurde wegen Krankheit nach Hause geschickt.
Jahre später baten mich Charlie und seine Freunde, Schiedsrichterin bei einem Spuckwettbewerb zu sein. Ich hätte es wissen müssen, aber ich ließ mich trotzdem darauf ein, denn Charlie wollte dafür abends den Abwasch übernehmen. Ich sollte Geschwindigkeit, Entfernung und Größe beurteilen. Als ein Häufchen Spucke knapp vor meinem Fuß landete, schaumig und durchsichtig, mit einer gelben, schleimigen
Weitere Kostenlose Bücher