Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
die wir mit Wölfen arbeiten, wissen inzwischen längst, dass nichts ist wie es ist. Immer, wenn wir glauben, eine feste Aussage zum Verhalten der Wölfe machen zu können, geschieht etwas, was alles Erarbeitete ins Gegenteil verkehrt. Diese Erfahrung haben wir besonders in Yellowstone gemacht. Harte Freilassung = Wölfe teilen sich auf und wandern ab; weiche Freilassung = Wölfe bleiben zusammen und im Ansiedlungsgebiet – so einfach war es nicht. Das Nez-Perce-Rudel hatte sich 1996 dazu entschlossen, diesen Regeln nicht zu folgen. Dieses Rudel bildete noch im Gehege einen engen Familienverband. Als es dann aber freigelassen wurde, teilte es sich auf und wanderte in getrennten Gruppen ausgiebig durch den gesamten Norden und Nordosten des Parks.
Die aufsteigende Sonne wärmt mich bei meiner Wanderung zum Rose-Creek-Gehege. Längst habe ich meine dicke Daunenjacke in den Rucksack gepackt und durch eine dünnere Fleece-Jacke ersetzt. Die Sonnenstrahlen brennen auf meiner Haut. Nur zu leicht vergisst man, dass man sich hier auf 2500 m Höhe befindet. Das Steigen mit Schneeschuhen strengt jetzt mehr an. Ich umgehe das Wäldchen, in dem das Gehege versteckt liegt, und suche mir einen Weg, bei dem ich nicht allzu sehr einsinke. Plötzlich sehe ich den Metallzaun silbern hinter den Bäumen schimmern. Noch einen kleinen Hügel erklimmen, und ich bin da. Im Schnee sehe ich Spuren, von denen ich nicht ausmachen kann, ob sie von Kojoten oder Wölfen stammen. Die Kojoten von Yellowstone sind sehr groß und werden von vielen Touristen oft mit den großen Verwandten verwechselt. Die Sonne hat die Kanidenspuren vor mir teilweise geschmolzen und dadurch schwer identifizierbar gemacht. In dem Gebiet, in dem ich jetzt wandere, liegt die bevorzugte Wurfhöhle des Druid-Peak-Rudels. Es kann also durchaus sein, dass das Rudel sich hier in der Nähe aufhält. Endlich habe ich das kreisrunde Gehege erreicht.
Die Gehege
Als die Biologen die Gebiete aussuchten, in denen die Akklimatisierungsgehege gebaut werden sollten, mussten sie darauf achten, dass diese zwar immer noch zu Fuß erreichbar, jedoch gleichzeitig so versteckt sein sollten, dass keine unerwünschten Besucher dorthin finden konnten. Außerdem musste es möglich sein, die Wölfe von einer gewissen Entfernung aus zu beobachten.
Für die Wölfe wurden insgesamt drei Gehege gebaut, die ihren Namen nach dem Ort bekamen, in dessen Nähe sie sich befanden: Crystal Creek, Soda Butte und Rose Creek.
Für die Umzäunungen gab es spezielle Anforderungen: Sie mussten leicht zu errichten sein und brauchten auch nicht auf Dauer gebaut zu werden. Vor allem aber musste das Gehege der Sicherheit und dem Wohlbefinden der Wölfe dienen. Und so wurde ein rundes Gatter mit einem drei Meter hohen Zaun entworfen; rund, weil Wölfe wahre Kletterkünstler sind und sich sehr gut an Ecken hochziehen können. Der Zaun erhielt oben einen um 45 Grad nach innen geneigten 60 cm langen Überhang, der ebenfalls ein Überklettern oder Überspringen durch die Wölfe verhindern sollte. Im Inneren wurde der Zaun noch einmal 1,20 m in die Erde eingelassen, damit die Ausbruchskünstler sich nicht unter dem Zaun durchgraben konnten. Angrenzend an das runde Hauptgehege entstand eine kleinere Umzäunung, um notfalls die Wölfe zu trennen oder herauszufinden, wie sich hinzugekommene Wölfe mit ihren bereits dort lebenden Artgenossen vertragen. Zum Schluss baute man mehrere hölzerne, mit Stroh ausgelegte Hundehütten, um den Tieren eine Rückzugsmöglichkeit zu geben.
Um das Gehege herum stand ein mit Solarzellen gespeister Elektrozaun. Der sollte hauptsächlich andere Wildtiere wie Hirsche oder Bisons daran hindern, sich – was sie gerne tun – am Zaun zu scheuern und ihn zu beschädigen. Im zweiten Jahr der Wiederansiedlung sollte der Strom andere Wölfe davon abhalten, ihre eingesperrten Brüder und Schwestern zu belästigen.
Das Rose-Creek-Gehege ist das einzige, das heute noch so steht, die anderen Gehege Crystal Creek, Soda Butte (1995), Nez Perce und Blacktail (1996) wurden nach der Freilassung der Wölfe abgerissen.
Schwer atmend vom Aufstieg nähere ich mich langsam der Umzäunung. Wie immer, wenn ich hierher komme, überflutet mich die »Nähe« zu den Wölfen und die Erinnerung an ihren Aufenthalt hier mit Gefühlen der Freude und Aufregung. Die letzte kleine Anhöhe bietet einen geschützten Blick auf das Gehege. Von hier aus konnten die Ranger und Biologen unbemerkt das Verhalten der
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