Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
Wolf aus einem sehr realistischen Blickwinkel.
So bleibt zu wünschen, dass Elli Radingers Buch über die Wölfe von Yellowstone nicht nur weite Verbreitung findet, sondern die Menschen generell dazu anregt, ihr eigenes Verhalten beim Besuch eines Nationalparks zu reflektieren. Die jeweilige Tierwelt wird es ihnen danken.
Günther und Karin Bloch, September 2003
Einleitung
Es ist ein kalter Junimorgen. Nur langsam erscheint ein Lichtstreifen am Horizont. Ich bin allein im Lamar Valley – noch. Bald schon werden die ersten Wolfsbeobachter eintreffen. Ich parke mein Auto am »Hitching Post«, wo ich einen guten Überblick über das Tal und das Wäldchen habe, in dem sich die Höhle des Druid-Peak-Rudels befindet. Einen Moment lang schließe ich die Augen und lausche der Stille, die nur unterbrochen wird vom entfernten Chorheulen einiger Kojoten. Am Ende der Straße tauchen Autoscheinwerfer auf. Die Wolfsgemeinde trifft ein. Rick McIntyre, der Biologe, ist wie immer der Erste. Er holt seine Telemetrie-Ausrüstung aus dem Auto und kontrolliert die Radiofrequenzen der Wölfe, indem er sich langsam mit der Handantenne in alle Himmelsrichtungen dreht. Plötzlich höre ich laut und deutlich ein klares »Piep, Piep« aus dem Empfänger. Ein Wolf! Rick macht sich Notizen und packt die Antenne wieder ein. Dann kommt er auf mich zu: »Good Morning, Elli.« Er erklärt mir, dass er Signale der Leitwölfe Nummer 21M und 42F hat, die auf dem Weg in Richtung Höhle sind und in Kürze sichtbar sein dürften. Mit einem eiligen »See you!« ist er schon wieder fort.
Der nächste der »ständigen Beobachter«, der auftaucht, ist Bob Landis, ein Tierfilmer von National Geographic, der in Gardiner lebt. Er winkt kurz zu mir herüber und fährt weiter, immer auf der Suche nach den spektakulären Aufnahmen, die wir in seinen Filmen bewundern dürfen. Ich habe größte Hochachtung vor dem Mann, der bei jedem Wetter tagein, tagaus im Park ist, um die Wölfe zu finden. Seine Werke bringen uns die Wölfe nah und berühren uns.
Nach und nach tauchen die ersten einheimischen Fotografen auf: Dan und Cindy Hartman, die in Silver Gate, an der Parkgrenze, in einem kleinen Blockhaus leben, in dem sie auch ihre Fotogalerie haben. Wir sind inzwischen gute Freunde geworden, von ihnen stammt das Titel- und Rückbild für dieses Buch. Dann trifft Bob Weselmann ein. Seine Leidenschaft für die Wölfe ist so groß, dass er im Sommer schlecht bezahlte Saisonjobs beim National Park Service annimmt, um im Park zu leben. In jeder freien Minute ist »Bison-Bob« – so genannt, weil seine Aufgabe darin besteht, die Bisons zu zählen – im Park und fotografiert. Bob hat ein erstaunliches Gespür für die Wölfe und ist meist schon am Ort, noch bevor die Tiere selbst auftauchen. Bobs großem, rotem Allrad zu folgen ist fast eine Garantie für Wolfssichtungen.
Und so versammelt sich Tag für Tag bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang die verschworene Wolfsgemeinde im Lamar Valley. Mein persönlicher »Herr der Wölfe« ist Rick McIntyre, der Mann, der die Yellowstone-Wölfe in- und auswendig kennt, besser als jeder andere, und der dennoch nicht im Licht der Öffentlichkeit steht wie zum Beispiel Doug Smith, der Leiter des Wolfsprojektes. Obwohl ich seit vielen Jahren die Beutegreifer beobachte, habe ich es immer noch nicht geschafft, Rick »einzuordnen«. In gewisser Weise ist er wie die Wölfe. Hat man sich endlich einmal entschlossen, eine Aussage über ihn zu treffen, so wirft er am nächsten Tag alles wieder um. Ist er heute äußerst gesprächig und gesellig, kann es sein, dass er morgen allzu lästige Fotografen in die den Wölfen entgegengesetzte Richtung schickt oder nur stumm in sein Fahrzeug steigt und wegfährt, oft gefolgt von einer langen Kolonne Autos, deren Insassen hoffen, so einen Blick auf die berühmten Beutegreifer zu erhaschen (nach dem Motto: Wo Rick ist, sind auch die Wölfe). Ich habe es inzwischen aufgegeben, ihn verstehen zu wollen. Ich freue mich, wenn er »gut drauf« ist, und nütze die Situation dann schamlos aus. Ansonsten nähere ich mich ihm respektvoll wie ein niederrangiger Wolf mit eingekniffenem Schwanz, angelegten Ohren und freundlichem Grinsen.
Mein wahrer Held aber wird er in den Sommermonaten, wenn er mit engelsgleicher Geduld und stoischer Ruhe die Fragen der vielen Parkbesucher beantwortet. Einen Beweis dafür darf ich kurze Zeit später erleben, als Rick zurückkehrt. Inzwischen ist es hell geworden, und
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