Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
kam, ging er schnurstracks auf Nummer Neun zu. Die junge Nummer Sieben zog sich vorsichtig zurück. Nummer Zehn beschnüffelte Neun ausgiebig. Dann legte er seinen Kopf über ihren Rücken – eine Geste, mit der Wolfsrüden Weibchen mitteilen, dass sie eine Bindung aufbauen wollen. Nummer Neun stellte alle Nackenhaare hoch und wehrte sich zunächst mit deutlichem Knurren. Beide standen groß und steif nebeneinander und knurrten. Dann berührten sich vorsichtig ihre Schnauzen und sie beschnüffelten einander die Analdrüsen. Dieses Spiel ging eine Weile so weiter. Am Ende des Tages lagen Wölfin Nummer Neun und Wolf Nummer Zehn eng zusammengerollt nebeneinander und schliefen den erschöpften Schlaf der Gerechten.
Die Wölfe verbrachten zwei Monate in ihren Gehegen. Anfangs wussten die Wissenschaftler nicht, was sie erwarten würde. Wilde Wölfe werden selten in Gefangenschaft gehalten. Alle drei Wolfsgruppen brauchten eine gewisse Zeit, um sich an ihr Gefängnis zu gewöhnen. Sie waren irritiert durch den Zaun und übten sich als Ausbruchskünstler. Sie bissen in den Maschendraht bis ihre Lefzen bluteten und sie sich die Zähne ausbrachen. Sie versuchten, über den Zaun zu springen oder hinüber zu klettern, andere bemühten sich, einen Tunnel unter das Gitter zu graben. Als alle Versuche vergeblich waren, fügten sie sich in ihr Schicksal, gaben auf, den Zaun zu bekämpfen und schienen ihr Gefängnis zu akzeptieren.
Die Biologen ihrerseits versuchten, ihren berühmten Gefangenen den Aufenthalt so angenehm und störungsfrei wie möglich zu machen. Zweimal wöchentlich brachten sie überfahrene Huftiere (Elche, Hirsche und Rehe). Sicherheitsbeamte patrouillierten in einiger Entfernung und sorgten dafür, dass keine neugierigen Reporter oder Fotografen ihren Weg zum Gehege fanden.
Die Wölfe erhielten im Durchschnitt vier bis sieben Kilogramm Hirschfleisch pro Wolf und Tag. Wenn sie nicht fraßen, trabten die berühmten Vierbeiner die meiste Zeit am Zaun auf und ab. Sie, die es gewohnt waren, Hunderte Kilometer zu laufen, lebten nun auf kleinstem Raum eingesperrt. Sie achteten darauf, den Eingangsbereich, durch den die Menschen mit Futter kamen, zu meiden. Ansonsten ruhten sie oder beschäftigten sich mit Fressen und Spielen. Das am häufigsten gespielte Spiel in allen drei Gehegen war das »Raben jagen«, wenn die schwarzen Vögel versuchten, einen Teil des Futters zu stehlen. Die Jungwölfe liebten es außerdem, mit riesigen Knochen durch das Gehege zu stolzieren, was die Ranger, die die Tiere aus der Ferne beobachteten, stets amüsierte.
Jede Wolfsgruppe schien ihr eigenes Verhalten zu haben, das sich von den anderen Gruppen unterschied. Während sich die Wölfe des Crystal-Creek-Rudels schnell beruhigten, wenn Menschen zu ihnen kamen, und der Leitwolf bereits 10 bis 20 Minuten, nachdem ein Kadaver abgelegt worden war, fraß, war der Leitrüde des Rose-Creek-Rudels, die stolze Nummer Zehn, ohne jegliche Scheu. Er stand meist aufrecht auf seiner hölzernen Hütte, wenn die Männer den Kadaver brachten, und ließ sie nicht aus den Augen, bis sie endgültig hinter dem Hügel verschwunden waren. Manchmal beschnupperte er sogar schon den Kadaver, bevor die Menschen das Tor hinter sich geschlossen hatten. »Ich bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn er mich so ansah«, sagte ehrfürchtig einer der Helfer.
Das Soda-Butte-Rudel brauchte am längsten, um sich an die Gefangenschaft zu gewöhnen. Es verhielt sich noch forscher als das Crystal-Creek-Rudel, wenn die Männer mit den Kadavern kamen. Es schien, als ob die Wölfe jederzeit bereit waren, durch jeden noch so kleinen Spalt im Gehege zu flüchten.
Schon kurz nach ihrer Ankunft begannen alle gefangenen Wölfe die Biologen zu verblüffen, was in den folgenden Jahren nie aufhören sollte:
Nach nur einer Woche heulten alle Rudel massiv. Vermutlich wurden sie durch das Heulen der Kojoten dazu animiert, ihre Anwesenheit im Park anzukündigen. Völlig überrascht waren die Biologen aber, als sich die Wölfe in Gefangenschaft paarten. Zwar lag die Akklimatisierungszeit genau in der Paarungszeit (Mitte Februar bis Ende März), man hatte jedoch angenommen, dass der Stress des Einfangens und des Transports im ersten Jahr noch zu keinem Nachwuchs führen würde.
Offensichtlich bekamen die Wölfe Besuch. Kojotenspuren, aber auch gelegentliche Hirsch- und Bisonspuren waren in der Nähe des Geheges zu sehen. Und ein vorwitziger Rotfuchs wollte es genau wissen und kletterte
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