Die Woelfin
»Sugriva! Unsere Tochter . sie ist weg!«
Es war Sugrivas Vater, der gerade aus seiner Hütte wankte. Eine Weile wirkte er desorientiert. Dann taumelte auch er auf den Obelisken zu.
Goprum schnitt eine Grimasse, als wollte er sagen: Na also! Auch Marathe fühlte vage Erleichterung. Sugriva wäre nicht verschwunden, wenn Sie das Opfer nicht akzeptiert hätten.
»Komm!« Goprum faßte Marathe am Handgelenk und zog ihn mit sich.
Marathe leistete keinen Widerstand. Langsam gingen sie dem Obelisken entgegen, dessen Licht nicht nur sie anzog, sondern jeden Bewohner aus seiner Behausung hervorlockte.
Auf dem ehemals glattgeschliffenen Obelisken prangte ein Gesicht, dessen Schönheit jeden fesselte und dessen steinerner Mund sich öffnete, als wollte er das Wort an die Menschen von Yakshamal-la richten.
Statt dessen entließ er den Tod.
Und mit ihm sechs andere Münder in sechs anderen Dörfern.
Onan verwüstete Yakshamalla. Artor tilgte Birethanti. Isis, Sem, Neel, Kaila und Narasin die restlichen Orte des KULTS.
Kein Stein blieb auf dem anderen, und nur die Mörder selbst überlebten.
Ein Ruf hatte sie ereilt.
Der Ruf, auf den sie immer gewartet hatten.
In the Jungle, savaged by wild beasts Icould not name ...
Peter Sirr
Gegenwart, Paris
An diesem Abend hielt Jerome Vautier es nicht auf dem Friedhof aus, auf dem sein Grab lag.
Mit dem Licht des Tages waren auch die Menschen verschwunden, die dem Totenacker auf dem bewaldeten Hügel inmitten der Stadt einen Besuch abgestattet hatten. Ihre Stimmen, denen Jerome durch die schwere Marmorplatte seines Sargs hindurch gelauscht hatte, waren verklungen. Nur ein kalter Wind flüsterte noch in den wenigen Blättern, die im fast kahlen Geäst der Bäume hingen.
Überall auf den Wegen lag Laub wie ein Symbol der Vergänglichkeit schlechthin. Als wollte es sagen: Leben, das heute noch blüht, kann morgen schon welken. Nur der Tod hat Bestand. Nur die Kraft des Jenseitigen existiert ewig .
Aber auch dieses unheilige Feuer wollte geschürt, seine Glut in Gang gehalten werden. Die Magie, die Jerome weiter bewegte, obwohl sein Herz aufgehört hatte zu schlagen, seine Lungen aufgehört hatten zu atmen, forderte ihren - im wortwörtlichen Sinne - Blutzoll.
Ein untotes Geschöpf wie Jerome schmarotzte vom Leben anderer. Und in all der Zeit, die er nun schon ein Diener war, hatte es kaum je einen Menschen gegeben, der ihm freiwillig etwas von dem warmen Strom, der seine Adern durchfloß, abgegeben hätte.
Jerome mußte sich nehmen, wonach ihm verlangte. Immer und immer wieder.
Nur so konnte er seinen erkalteten Körper vor dem Zerfall bewah-ren. Nur so konnte er seinen Traum, auf dieser Welt zu wandeln, aufrechterhalten. Ein grausamer Traum - grausam vor allem für die, die Jeromes Aufmerksamkeit erregten .
Das Lächeln, das diesen Gedankenflug begleitete, blieb unter seinen Züge verborgen, die so bleich waren, als läge dicke Schminke darüber.
Obwohl die Tore des Friedhofs Pere-Lachaise inzwischen geschlossen waren und erst am nächsten Morgen wieder öffnen würden, hellten vereinzelte Gaslaternen die verschlungenen, heckengesäumten Wege auf. Jerome wußte nicht genau, warum die Stadt dieses Licht, das kein Toter brauchte, vergeudete. Aber vermutlich hatte es mit der uralten Scheu des Menschen vor Plätzen wie diesem zu tun. Und vor der tiefverwurzelten Furcht, die das Dunkel in einem pochenden Herz zu wecken vermochte.
Er beschleunigte seinen Schritt. Sand knirschte unter den Ledersohlen zu enger Schuhe. Neuer Schuhe.
Der Meister hatte sie ihm geschenkt. Erst gestern, nachdem sie ein gemeinsames Blutmahl gehalten und ihr Opfer - aus einer Laune heraus - barfüßig zurückgelassen hatten.
Mein Herr und Meister, dachte Jerome und wankte kurz, ohne daß es ihm bewußt geworden wäre.
So ganz konnte er die Rückkehr dessen, der ihn vor langen Jahren zum Diener auserkoren hatte, immer noch nicht fassen. Zu gegenwärtig waren noch all das Leid und die Verwirrung, in die ihn sein jähes Verschwinden seinerzeit gestürzt hatte.
Ein Diener ohne Herr . das war ein Unding! Eine Katastrophe, die Jerome nie verwunden hatte.
Noch eine Idee schneller trugen seine Beine ihn vom Nebenweg auf eine der asphaltierten Straßen, die so breit waren, daß sie mühelos von Autos hätten befahren werden können. Sie trugen Namen, wie auch der Friedhof insgesamt eher einer eigenständigen kleinen Stadt ähnelte als einem bloßen Ort der Besinnung. Schlichte Gräber bildeten die
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